"Mensch ärgere Dich ..." - ..... nicht." hieß es kürzlich auf öffentlichen Plakatwand-Diptychen, mit denen von Microsoft auf das seit Monaten heftig umworbene Windows 95 aufmerksam gemacht werden sollte. Erhöhte Benutzerfreundlichkeit ist allerdings noch eine der vergleichsweise nebensächlichen Versprechungen, die seitens der Computerindustrie, der Telekom und bestimmter Lager der Medientheorie und -philosophie erteilt werden, wenn es um die Zukunft von EDV im allgemeinen und von Datennetzen im speziellen geht. Glaubt man den visionären Prophezeiungen, so geht es um nicht weniger als um fundamental neue Erkenntnisse in einem grenzenlosen, virtuellen Kosmos, der allein durch die Interessen und Entscheidungen des User-Subjektskonstituiert werde, letztendlich also ein Triumph des reinen Willens des Individuums sei. 1 "Where do you want to go today?"
Die gesellschaftlichen Konsequenzen einer solcherart als phantasmagorischer ausgestellten Cyberworld des insulär-autarken und damit auch leicht operationalisierbaren Individuums bleiben dabei genauso unreflektiert, wie seitens der Verlautbarungen politischer Entscheidungsträger keine prinzipiellen Fragen oder gar Gefahren bei den Debatten über die Notwendigkeit einer Zukunft im und durchs Netz angesprochen werden. So umfassen beispielsweise die 10 Punkte des sogenannten Bangemann-Papiers 2 lediglich funktionale und zudem blauäugige Legitimierungsargumente wie Arbeitsplatzsicherung, Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes und ökologische Vorteile durch Telearbeit,3 ohne dabei das grundsätzliche Recht einer Gesellschaft auf virtuelle Öffentlichkeit und die Möglichkeit unfunktionaler, unkommerzieller Kommunikation und Bildung überhaupt erst anzusprechen, Forderungen nach demokratischen Zugangsregelungen, Meinungsfreiheit, Datenschutz, Copyright usw. bleiben genauso ausgeblendet wie die in ihnen steckenden Gefahrenpotentiale. Ein nicht vermarktbares, eben bloß kommunizierendes, öffentliches Betreten der Datenstraßen wird schon frühzeitig verunmöglicht, die Bürgersteige zugunsten des Güterverkehrs hochgeklappt. So gesehen enthält die Mensch-ärgere-dich-nicht-Formel noch eine zweite, ungewollt zynische Dimension, nämlich einen Stillhalte-Appell bezogen auf zu verpassende gesellschaftliche Chancen des neuen Mediums.
Die vom 6. bis 10. Dezember 1995 in der "Interfiction"-Sektion des 12. Kasseler Dokumentarfilm- & Videofestes vertretenen Gruppen (u.a. Asco-Mailbox, Bionic-Mailbox, Botschaft e.V., Internationale Stadt Berlin, The Thing, SIM Kassel, Projektgruppe Kulturraum Internet ) könnten die Adressaten eines solchen Appells gewesen sein, denn Ihnen ging es in der zweitägigen Fachtagung um eine gesellschaftsbezogene Netzkritik und um Erhalt, Ausbau und Profil von unkommerziellen, gemeinschaftsstiftendenen, politischen Netznutzungsprojekten. Angesichts der bevorstehenden drastischen Kommerzialisierung des Netzverkehrs (Werbung, Tele-Banking, Gebührenwettbewerb, Online-Shopping etc.). der geplanten Kartellbildungen von Servern und der rapide zunehmenden Verbreitung der Netzanschlüsse 4 geht es im Selbstverständnis dieser Projekte und ihrer Interventionen darum, in der grundsätzlichen Ausrichtung des "Mediums der Zukunft" Dimensionen von "Gegenöffentlichkeit" sicherzustellen und Nischen einzubauen. Weniger eine Netzrevolutionierung wird dabei fokussiert, sondern eher die Revitalisierung des einstigen experimentellen, gemeinschaftlichen Charakters der Netze bzw. die - auf konkrete Rahmenbedingungen (auch technologische) bezogene - Aktualisierung einer "Netiquette" und die Erarbeitung eines Richtlinien- und Forderungskatalogs. Zur Verabschiedung des ursprünglich von den Veranstaltern von "Interfiction" ("Perspektiven und Mythen von Gegenöffentlichkeit in Datennetzen")intendierten Kasseler Manifests kam es aufgrund heftiger Terminologie-Dissense jedoch nicht, schon allein der oppositionelle Begriff "Gegenöffentlichkeit", der in sich bereits eine in Datennetzen erst noch zu initialisierende Öffentlichkeit impliziert, erwies sich schnell als unbrauchbare Kategorie: Ob "Gegenöffentlichkeit" angesichts der Codierung diese Begriffs durch die linke Tradition überhaupt noch brauchbar sei und nicht eher von vielen kleinen Gegenöffentlichkeiten gesprochen werden solle, ob das Präfix "Gegen-" nicht grundsätzlich ein brandmarkendes, lähmendes Gespenst sei,5 ob nicht sogar im Argumentieren mit dem Begriff der "Gegenöffentlichkeit" zwangsläufig immer schon kommunistische Redefiguren mitschwingen würden und es doch dringend anstünde, einen eigenen Diskurs auszubilden 6, konnte im Verlauf der anfangs unversöhnlichen Positionsbekundungen kaum konstruktiv diskutiert werden.
Interaktive
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Einigkeit dagegen herrschte darüber, daß Movens, Ausgangspunkt und Ziel der elektronischen Kommunikation in sozialer Praxis verortbar sein sollten bzw. sind. Nicht nur, daß das virtuelle Konstruieren im Netz als Supplement von tatsächlicher Praxis eben noch nicht ausreicht, um den mehr und mehr zu Konsumentenpassivität drängenden WWW-Seiten etwas entgegensetzen zu können, und daß erst eine Außenkopplung eine letztendlich irrelevanten Zeitvertreib verhindert. Nur mittels einer lokal und sozial "geerdeten" Netzpraxis können jedoch - wenn überhaupt - fundamentale Probleme und Gefahren des Mediums (z.B. Manipulation, Datenmißbrauch, Propaganda, Nötigung, Ausschluß etc.) vermeiden und ethische Richtlinien für User und Provider - ein weiterer Tagesordnungspunkt von "Interfiction" - erstellt werden. Dementsprechend konnten auf der theoretischen, manifestartigen Grundsatzebene von "Interfiction" Forderungen nach z.B. "Access for all" mit Überlegungen zum strategischen Ausschluß von z.B. rechtsradikalen oder sexistischen Beiträgen im Netz auch nur relativ unproduktiv kollidieren. Die von padeluun vorgetragene Kaskade von Forderungen an einen zukünftigen Netzstandard machte die Diversität aus teils provokativ-rebellischen und teils sachlich-konstruktiven Elementen dabei die Kluft zwischen allgemeinen Ansprüchen an einen Prinzipienkatalog für Datennetze und individuellen, spezifischen Ansprüchen innerhalb konkreter Netzprojekte mehr als deutlich. Sie umfaßte u.a. das Recht auf Dummheit, auf Extreme und auf die Verbreitung von Unwahrheiten, die Schweigepflicht der Server und die Sendepflicht der User, einen Kontrahierungszwang für Anbieter, ein Verbot von Währungstransaktionen, die installierung von Netzfonds und Netzbildungsstätten, eine genossenschaftliche Firmengestaltung bei den Netzbetreibern sowie den Gedanken von Datennetzen als exterritorialen Geländen bzw. Staaten.7 Von dieser Ausweitung der Dimensionen war es natürlich nicht mehr weit bis zu der Frage, was denn eigentlich mit den Rechten der Nicht-Nutzer der Netze sei, mit "Netzverweigerern" also.
Abgesehen von konkret "gegenläufigen" Projekten wie z.B. dem Versuch, unabhängig von der Telekom die Drähte in den Häusern selber zu verlegen, einfach die Elektrizitätsleitungen zu benutzen, sich autark in einen Satelliten einzukaufen oder - vom Minimalkonzept ausgehend- doch wieder zum CB-Funk zu greifen, sind es in erster Linie systemimmanente Strategien, mit denen versucht wird, der kommerziellen Absorption von engagierten, erfolgreichen Projekten zu entgehen, gleichzeitig aber(politische) Öffentlichkeit zu installieren, zu bewahren und zu vergrößern. Das Phantom "Gegenöffentlichkeit" wird durch "Taktische Medien" ersetzt, d.h. es werden temporäre, dezentrale Koalitionen "ohne Fahne" geschlossen. Die vielen kleinen Gegenöffentlichkeiten finden somit nomadisch statt und sind dadurch nicht nur unberechenbare, also unvermarktbare Potentiale 8, sondern zugleich politische Durchlauferhitzer mit Multiplikatorenfunktion.
Als fehlgeschlagenes Beispiel für solcherart intendierte Projekte charakterisierten Verena Kuni und Ulf Schleth von The Thing (Berlin)dessen mittlerweile stark hierarchische und kommerzielle Strukturen 9, wo durch sich die Frage ergibt, ob Teilnahmebedürfnis der User und Offenheit der Netze nicht ein Mythos ist, der letztendlich auch unter alternativen, politischen Netzwerken herrscht, und ob die Idee der Kooperative und der Gruppe als tatsächlichem Zusammenhang nicht eine Utopie ist. Wenn es so ist, daß sich auch bei engagierten, unkommerziellen Gruppenprojekten, deren Horizont gesellschaftliche Kommunikation und dezentrale kulturelle und/oder politische Einflußnahme ist, karrieristische Korrumpierbarkeit und rein genußorientierter "Interaktivität" durchsetzen, dann liegt damit in solcher "Gegenöffentlichkeit" ein überraschendes Pendant zu der von der Computerindustrie angekündigten" Öffentlichkeit" vor.10 Die gewissermaßen als Triumph des Willens angepriesene und dadurch harmlose, weil atomisierte und stillgestellte Surferautonomie findet ihr Gegenstück im Triumphieren der einzelnen, die mit dem Gruppenvehikel und dem Bonus des Oppositionscharakters ihre eigene Exponierung verfolgen.
Dieses Problem ist weder neu noch netzspezifisch, es trat schon immer dann auf, wenn politische Minorität ihr Verhältnis zu z.B. Institutionen und deren Produktionsmitteln oder Laufbahnversprechen klären mußte. Insofern war es dann vielleicht doch wieder adäquat, während der "Interfiction"-Tagung über diesen unangenehm aktuellen Begriff der "Gegenöffentlichkeit" zu debattieren, denn man ist - wie ein Botschafter sehr treffend sagte - keinen Schritt weiter gekommen, wenn die digitale Welt genauso wird wie die reale Welt.
Anmerkungen
1 Auf die dies bezüglich euphorischen Versionen trifft man bei den Meetings der Cyber-Apologeten, wie z.B. der alljährlichen Ars Electronica in Linz..
2 Martin Bangemann u.a, Europe and the Global Information Society. Recommandations to the European Council, 1994.
3 Vgl. die diesbezüglich kritische Diskussion dieser Argumente in "Mit den Konzepten von gestern in die Gesellschaft von morgen" von U. Bernhardt / I. Ruhmann, Frankfurter Rundschau, 15.11..1995, S.18.
4 Allein in Amsterdam werden 1996 laut Geert Lovink ("De digitale Stad") 400.000 Haushalte neu angeschlossen.
5 Bissig bemerkt padeluun, Bionic-Mailbox, hierzu, daß Linke erstens immer dagegen und zweitens auch immer Versager sein wollten.
6 Wobei die Forderung nach der Ausbildung eines "eigenen Diskurses" angesichts des Kontrasts zwischen einerseits Heterogenität der Tagungsteilnehmer und ihrer Positionen und andererseits dem Appell an eine vermeintliche Gruppenidentität das linke Oppositionsdenken aus Feind und Freund, System und Individuum eigentlich genau wiederholt. Trotz der anfänglichen, zum Teil fundamentalistischen Abgrenzung vonPositionen gegenüber denen der anderen schien das bereitwillige Sprechen über handlungsperspektiven in der Wir-Form später keinen Widerspruch mehr darzustellen. Bezeichnenderweise war "Interfiktion" kein öffentliches Forum, sondern ein Meeting geladenenr Stellvertreter. Dementsprechend wurde zu Beginn der Tagung kurz darüber abgestimmt, in welcher Form Informationen über dieses Treffen "nach draußen" gelangen dürften.
7 Der Staatsgedanke weitet die mitlerweile schon sehr gängige Raummetaphorik der Datennetze - es wird von Städten und Straßen gesprochen - insofern noch einmal aus, als er die Notwendigkeit von verbindlichenRegeln und die GesellschaftlicheKonstitution derselben betont. Der Staatsgedanke beinhaltet nämlich nicht mehr bloß die Gefahr von Staus und gelegentlichen Verkehrsunfällen auf der Datenstraße, sondern grundsätzliche Fragen der zu z.B. Krieg oder Frieden, Diktatur und Demokratie usw. es geht dabei nicht mehr um eine StVO, sondern um Grundrechte. "The Virtual Embassy" heißt ein Projekt von Neue Slowenische Kunst, in dem es um die Asuweitung des NSK-Staates in den elektronischen Raum geht.
8 U.a. aufgrund ihres Selbstverständnisses eben als "taktisches Medium" reagierten z.B. Botschaft e.V. auf die anhaltenden Versuche des Kunstsystems, die Gruppe bzw. einzelne Mitglieder in ihrem Diskurs zu etablieren, zum Jahresende 1995 konsquenterweise mit der offiziellen Auflösung des Vereins Botschaft ( neu z.B. Webstop).Zu "Taktische Medien" vgl. das Projekt "Next 5 Minutes", Amsterdam, Rotterdam, 18. bis 21.01.1996, sowie z.B. das von der Agentur Bilwet herausgegebene Medien-Archiv, Bensh
9 The Thing bietet mitlerweile auch "exklusive first class mail-boxen" an, die andere nicht lesen können. An den offenen Brettern scheint niemand mehr teilzunehmen, dagegen geschieht eine starke Verlagerung auf professionelle WWW-Anbieterseiten. Nach Kuni gibt es im Thing-Netz u.a. aufgrund mangelnder Transparenz keine Vetomöglichkeit gegen die zunehmende Kommerzielisierung. Anteilnahme und Intersse an Gestaltung gehen gegen Null. Thing-Teilnehmer erfahren über ihr eigenes Netz in der Presse.
10 Vgl. "Slaves without Athens" u.a. Texte von Uwe Hermanns.
Erstveröffentlichung in Texte zur Kunst, "Apparate", März '96, Nr. 21, S. 139-142.
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