von Georg Christoph Tholen
Sehr geehrte Damen und Herren,
[...] das Fragezeichen im Titel meines Vortrages , der dem bekannten von McLuhan entgegengesetzt ist, ist kein bloß rhetorisches: Die in den Kultur- und Sozialwissenschaften virulent gewordene Frage nämlich, ob sich Epochenschwellen als Initialräume technischer Medien situieren lassen, markiert ein Forschungsfeld jüngeren Datums. Lassen sich diese Schwellen exakt datieren? Genügt die mit Max Weber, Helmut Schelsky und Niklas Luhmann geläufig gewordene Annahme, daß der Moderne - als Inbegriff der Rationalisierung oder Komplexitätsvermehrung - ihre Krisenhaftigkeit als eine innovationsfreudige "Dauerreflexion" innewohnt, um das Epochale des Technischen zu begreifen?
Gewiß: auch um die Jahrhundertwende 1900 gab es Krisendiskurse, die wie die heutigen angesichts 'neuer' Medien zwischen apokalyptischen Untergangsvisionen und euphorischen Szenarien auseinanderdriften. Und auch meint das Epitethon 'neu' oftmals nicht mehr als die Unsicherheit gegenüber dem vorläufig nur Unvertrauten.
Neu scheint mir freilich (in kulturanthropologischer Hinsicht) das Auftauchen eines beinahe epistemischen Bruchs zu sein, der die Kritiker wie Vordenker der neuen Technologien von der Auflösung menschengerechter Vor-Gegebenheiten sprechen läßt: etwa des Körpers, des Raums oder der Eigenzeit. Oder vom des'Verlusts des Prestiges der Aufklärung' als dem 'schriftinduzierten Projekt der Moderne par excellence' (A.Assmann). Übersprungen wird hierin aber das Epochale der Epoche selbst, d.h. der zeitlich unverfügbare Vorenthalt und Vorbehalt einer Zäsur, die keine wäre, wenn sie sich als bloß evolutionärer Übergang fixieren ließe. [...]
Die Sensibilität für diese Wechselwirkung von technischen und kulturellen 'Erfindungen' ist aber auch eine methodologische, die in ihrer Tragweite erst zum Problem wurde mit der Dominanz der modernen Informationstechnologien.
Warum und wie avanciert nun der Computer als der vielgestaltige 'Proteus der Informationsmaschine' (Seymour Papert) zu einem Paradigma, das nicht nur die Desillusionierung der Großen Erzählungen von der Utopie einer transparenten Gesellschaft beschleunigen half, sondern - [...] - die Metaphorik der soziologischen Diskurse über die Technik irritiert und sie zu einer Revision ihrer Begriffe aufmuntert?
Denn es 'fehlt '- so W. Rammert (Soziale Welt, 1992) - eine angemessene soziologische Theorie des technischen Wandels, da die vormaligen "einsinnigen Strukturlogiken" in der Erklärung des technischen Fortschritts der soziokulturellen Dimension der Technologien nicht gerecht werden konnten.
Schon rein empirisch fällt es z.B. einer strikt phänomenologischen Soziologie nicht leicht, den gegenwärtigen, in kurzen Intervallen sich verändernden 'Strukturwandel der Öffentlichkeit' angemessen zu beschreiben: Nicht nur, weil die einst durch literarische Medien mitkonstituierte Öffentlichkeit in eine partiale und plurale zerfällt, sondern weil wir mit einer globalelektronischen Welt virtueller Kommunikation konfrontiert sind, deren Gegenstand zum erheblichen Teil sie selber ist und noch ihre Krikik oder Analyse sich in ihrer eigenen Performanz vollzieht. Das Beispiel des diffus verknüpften Internet als einem in seinen multimedialen Verwendungsmöglichkeiten unbestimmten Ensemble aus militärischer Erfindung, subkultureller Nutzung und baldiger Kommerzialisierung, bestätigt diesen beschleunigte Wandel eines interaktiven "Abstandsgefüges" (so das schöne und präzise Wort von Manfred Fassler), das die herkömmliche, sog. "nahräumlichen" Intersubjektivität überlagert. Doch die Zweckoffenheit des Netzes, das man treffend 'Turinggalaxis' nennt, ist nicht nur eine alltagskulturelle Kluft zwischen 'Bekanntheitswissen' und 'Vertrautheitswissen'. Das 'zeiträumliche Unbehaustsein' (Fassler, Virilio) verweist von sich aus auf eine Nachgiebigkeit der digitalen Medialität, die sich voreingenommener Bewertung durch ein negatives oder positives Vor-zeichen entzieht.
[...] Warum - [...] - ist der vorderhand technische Sachverhalt, daß der Computer wegen seines Vermögens, die Eigenart des Medialen - nämlich Speichern, Übertragen und Verarbeiten - nicht nur in sich versammeln kann, sondern zugleich die vormaligen Einzel-Medien re-präsentieren kann - warum ist dieser Sachverhalt nicht nur ein technischer?
Nehmen wir die neuere , durchaus instrumentelle Definition der Informationsmaschine, die uns einer der wenigen kulturwissenschaftlich orientierten Informatiker gibt: Der Computer ist eine semiotisch zweckoffene, programmierbare und anwendungsunspezifische Maschine zur Verarbeitung von Symbolen und Zeichen (Wolfgang Coy). Medientheoretisch zugespitzt heißt dies: der Rechner ist nicht, sondern ek-sistiert in seinen medialen Gestaltungen und Oberflächen, die er zu simulieren gestattet, d.h. er läßt sie als Bedienungs"oberflächen" erscheinen. Sein Wesen ist insofern ein nicht-technisches, da der Rechner sich in seinen instrumentierbaren Gestaltungen bereits von sich -als bloßem Rechner - unterscheidet, keine einfache Identität bestitzt. Nur so macht die Rede von der Mensch-Maschine-Schnittstelle übrigens auch einen nicht nur trivialen Sinn. Die historische Zäsur, die der Maschine universeller Programmierbarkeit zukommt, nämlich sich als "sinnfreie" Übertragung anderer Medien maskieren zu können, macht also [...] den - in jedem Wortsinne - meta-phorischen 'Als ob'- oder 'Ersatz'-Charakter des digitalen Mediums aus. Und es ist eben diese Eigenart des Digitalen, die (darin folge ich der These des Kultur-und Technikphilosophen Wolfgang Welsch) den konstruktiven, stets 'mit'-konstituierten Rahmen unserer Wirklichkeitszuschreibungen markiert. Ähnlich verdanken wir es dem Zurkenntnisnehmen des medialen Charakters von Wirklichkeitsrepräsentationen, daß jede Auffassung einer vormedialen, ursprünglichen oder wiederzugewinnenden - und das heißt: sinnerfüllten Gegenwart prekär ist und die Funktion einer Ersatz-Religion annimmt (George Steiner und der späte McLuhan sind hierfür exemplarisch). Die 'aufklärerische' Funktion der neuen Medien -so Welsch treffend - wiederholt Kants Bestimmung der 'Welt' als einer zäsurierten Welt der Erscheinung. Und eben deshalb gibt es zwar universelle, aber nicht 'vollständige' Medien. Doch ich greife vor.
Zuvorderst ist die erwähnte Orientierungskrise kulturwissenschaftlicher Kategorien eine der Metaphorik des Medialen selbst. In der printmedial gesättigten Informationsflut über die Informations- und Bilderflut findet man eine Unzahl von Metaphern: Hypertext als Rhizom, Algorithmen als Fließband im Kopf, der PC als das den Teddybär ersetzende Übergangsobjekt. Der von McLuhan selbt kaum bedachte aber populäre Satz, das Medium sei die Botschaft, oder: seine komplexere Fassung: was in Medien erscheint, sind andere Medien, läßt den Begriff 'Medium' unklar: Bedeutet er nur Mittel, Mitte oder Milieu, so bleibt der Status des Medialen in eine uferlose Teleologie von prothetischen Zweckbestimmungen eingespannt und können problemlos als nützliche Geräte, Apparaturen oder System-Umwelt-Differenzen verrechnet werden.[...] Ich möchte in drei Schritten [...] (1.) die unfreiwillige Nachbarschaft der anthropologischen und instrumentellen Mediendiskurse und (2.) die Loslösbarkeit des digitalen Mediums vom anthropologischen Schema nachzeichnen, um (3. abschließend) die Bruch-Linie des Medialen als unverfügbaren Raum um-schreiben zu können: Drei Diskursfiguren also, die in der Grundlegung einer noch nicht ausdifferenzierten Medienwissenschaft derzeit eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
1. Der anthropologische Diskurs über die Medien
Foucaults Einsicht, daß es weit weniger Aussagen gibt, als wir gemeinhin annehmen, tröstet zwar nicht unmittelbar. Doch die von ihm gefundene symptomale Lektüre vorgeschriebener und vorschreibender Aussagemuster, die das Feld der Aussagen diskursverknappend eingrenzen, findet in scheinbar unabzählbaren Äußerungen wenige, aber regulierende Dispositive. Ich möchte nun versuchen, das spezifisch medienanthropologische zu situieren, das sich in vermeintlich spgar gegenstrebigen Diskursen finden läßt. Hier einige Beispiele:
Liest man die 1968 geschriebene Studie von Jürgen Habermas wieder - Technik als Wissenschaft und Ideologie - , so springt ein in der damaligen Rezeption der Opposition "zweckrationales versus kommunikatives Handeln" nebensächlich gebliebenes Schema in die Augen: Unter Rückgriff auf Max Weber, vor allem aber auf Arnold Gehlen, definiert Habermas das Technische als das [ich zitiere]"Projekt der Menschengattung insgesamt" und den "Funktionskreis instrumentalen Handelns" als einen, der [zitat]" am menschlichem Organismus festsitzt" und 'schrittweise auf die Ebene technischer Mittel projiziert' wurde: gemäß des Modells funktionaler Entlastung seien zunächst Hände und Beine ersetzt und verstärkt worden, sodann Auge, Ohr, Haut und schließlich das Gehirn - als "steuerndes Zentrum" (mit der Gefahr der entfremdenden Verdinglichung des technisch-adaptiven Verhaltens verbunden). Diese These der Leibprojektion, die die Technik als Organersatz metaphorisiert, die Logik der Übertragbarkeit selbst aber unbestimmt läßt, kehrt kaum verändert in den Grundlagentexten heutiger Medienanthropologie und -biologie wieder.
So seien McLuhan zufolge Technische Medien allesamt - seit der Erfindung des griechischen Vokal-Alphabets( das sich fatalerweise ins Gehirn ebenso unmittelbar einprägte wie dieses in jenem) - "Amputationen und Ausweitungen" des Menschen , "Extensionen der Gesamtperson". Die Schrift wird als Abstraktion von konkretem Sprechen und Handeln - mißverstanden, denn das Sprechen als solches bedeutet ja ein für den Menschen unhintergehbares Verwiesensein auf das von jedweder Unmittelbarkeit losgelöste Tauschen von Worten, ohne die kein Umgang mit Dingen und kein Distanz zu ihnen möglich wäre. Doch diese Kluft von Physis und Kultur wird von McLuhan nur als bedrohliche verortet und ihre Überwindung gleichsam halluziniert. Elektromagnetische Wellen seien - so McLuhan in seinem Spätwerk - eine biologische und zugleich katholische Entdeckung, d.h. die Noosphäre einer instantanen, 'video-christlichen' Kultur: ein apokalyptisch vorgesehenes Reich in der Endphase des Menschen, der nun seine alphabetisch, d.h. neurotisch- gespaltene Existenz zugunsten der vergessenen oralen und auralen Unmittelbarkeit elektronischer Ströme zurücknehmen kann:[zitat]" Im elektrischen Zeitalter, das unser Zentralnervensystem technisch so sehr ausgeweitet hat, dass es uns mit der ganzen Menschheit verflicht und die ganze Menschheit in uns vereinigt, ist es nicht mehr möglich, die erhabene und distanzierte Rolle des alphabetischen westlichen Menschen weiterzuspielen." (McLuhan, The Global Village, 1988, 10)
[...] Technische Medien, als Organersatz metaphorisch aufgeladen, werden so - dank des imaginären Schemas von einander ähnlichen oder assimilierbaren Polen - zur Universalmetapher des Organischen selbst, wie bei[m späten] Norbert Bolz:" der Mensch ist [nur noch] Moment im Medienverbund. Er tritt in organische Konstruktionen ein. (Gutenberggalaxis, passim)
Beim Nachfolger von McLuhan, Derrick de Kerckhove, bewirkt dieser 'neurokulturelle' Kurzschluß dann auch noch die Stilisierung des überzeitlichen, weil telepräsenten Papstes zum wohlklingenden Ikon planetarischer Menschlichkeit (Schriftgeburten) - eine Implosion von Werbung und Propaganda (unkommentiert abgedruckt in einem seriösen kulturwissenschaftlichen Verlag).
[...] Aber auch die Phänomenologie Vilem Flussers hält an dem Schema einer vorprädikativen Lebenswelt des Leibes fest: Der Mensch - so Flusser- hob die Hand gegen die ihn umgebende Lebenswelt, wodurch - als Abstraktion vom Konkreten - die Kultur der Information entstand und nun im Zeitalter des Computierens zur 'nachgeschichtlichen Nulldimensionalität' eingeschrumpft sei; paradoxerweise als eine leibliche Geste, die von sich selbst abstrahiert:[zitat] "Informieren ist eine negative, gegen den Gegenstand gerichtete Geste, die Geste eines gegen Objekte vorgehenden Subjekts, das Löcher in die Gegenstände gräbt." (Flusser, Die Schrift, 15). Er übersieht, daß der Leib - als wahrnehmend-wahrgenommener - nur in der Nichtübereinstimmung mit sich selbst existiert, d.h. in seiner Intersubjektivität stets schon 'fremdgegeben' ist (Merleau-Ponty). Die Aporie hand-lungstheoretischer Ableitung von Abstraktionen wird hier ebenso deutlich wie noch in manchen mathematikhistorschen Studien [...]
"Zahlen müssen sich [ - immer schon!; G.C.T. - ] abgelöst haben von den Dingen, die gezählt werden." (S. Kraemer,Symbolische Maschinen und die Idee der Formalisierung im geschichtlichen Abriss) [...] Hierzu ist vorgreifend anzumerken: Die abtrennbare Ablösung ist doch gerade die symbolische Vorraussetzung, dass Dinge als gezählte plazierbar werden können. [...]
Das zirkelschlüssige Schema des anthropologischen Diskurses ist zugleich ein instrumentales: Denn den ganzheitlich imaginierten Leib kann, da er ja Quell- und Zielpunkt der technischen Entwicklung zugleich sei, keine Technik stören oder ersetzen, weil sie ihn nur ersetzen kann - als quasi-leibliche Prothese nämlich. Die Fiktion dieses imaginären Bildes ist die Annahme eines vom Schein des Technischen loslösbaren, ersatzlosen Eigentums des Menschen bzw. der Menschheit, das sich als Bestand eines gemeinschaftlichen, d.h. mit sich selbst kommunizierenden 'Wir' zu bewahren oder auszudehnen vorgibt.
Das Dispositiv in diesen Diskursen ist eben diese bipolare Gegenüberstellung von abstrakt und konkret, wirklich und fiktiv, echt und simuliert. Ihr Dilemma ist das des Imaginären: denn wenn das Fiktive das Wirkliche aufzulösen imstande ist, muß dieser Aussage gemäß eben solcher wirkmächtigen Fiktion ein Wirklichkeitsstatus zugeschrieben werden, der doch andererseits nur der der Fiktion vorhergehenden und opponierenden Wirklichkeit eigen sein soll. Wenn also die Botschaft oder die Mitteilung nach einem bereits vorgegebenen Sender-Empfänger-Modell als Ausdruck des Leibes ausgerichtet wird, kann die historische Dazwischenkunft von medial je verschiedenen Übertragungen von Botschaften kaum anders als abstraktive Trennung der Botschaft vom Körper des Boten mißverstanden werden. [...]
Die nach dem Schema kontinuierlicher Evolution vorentschiedene Annahme einer Selbst- oder Bestandserhaltung findet sich auch noch in der systemtheoretischen Bestimmung des Medialen, wenngleich der nüchterne Charme der mittlerweile differenztheoretisch erweiterten Systemtheorie Luhmanns ungleich komplexer sich begründet. Focussieren möchte ich aus Zeitmangel nur einen Aspekt: Die kommunikationstheoretische Bestimmung des Mediensystems in der Schrift "Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?" versucht nachzuweisen, daß weder Menschen noch Gehirne kommunizieren, sondern nur die Kommunikation selbst: "Nur die Kommunikation kann kommunizieren" (Luhmann, 884) - als Inbegriff ihrer Selbstreferenz. Hierunter ist ein System operationaler Geschlossenheit vorgestellt, das - völlig überschneidungsfrei und doch in ständiger Kopplung mit dem Bewußtseinssystem - mithilfe unabschließbarer Beobachtungen von Außenereignissen Selbst-Referenz generiert und re-produziert. Sprache und andere Medien sind Medien als materiale Mittel, gesehen nur von der Form aus, betont Luhmann; der Form der autopoietischen Kommunikation nämlich , die sich in dem "weichen Medium durchsetzt"( 'interprenetiert'). Die Aporie dieser Informations- als Kommunikationstheorie liegt, wie mir scheint, in der (von Luhmann bewußt eingeführten) Übertragung einer bestimmten biologischen Metaphorik auf Sozialsysteme (hier der Theorie emergenter Adaption von Maturana und Varela). [...]
Beachten wir hier nur eine implizite Metapher, nämlich die des in seinem Sehen ungetrübten Auges, die in den Theorien der Selbstbeobachtung, des Konstruktivismus usw. eine zentrale Rolle spielt: Die Grundannahme der Theorie der unterscheidenden Beobachtung ist folgende: Die Welt ist eine Welt der Beobachter und jede Beobachtung eine, die beides herstellt: Beobachter wie Beobachtung. Diese bereits als Stufenfolge intentionaler Akte definierte Unterscheidung (Bateson, Spencer Brown), die ein Beobachter verwendet, um etwas zu beobachten, ist der "blinde Fleck" seiner Beobachtung. Er kann diese Unterscheidung nicht "sehen" (D. Baecker). Nur eine zweite Beobachtung sähe die erste Beobachtung usw. Der 'blinde Fleck' liegt meines Erachtens bereits in diesem abstandslosen und okularen Modell einer selbstbezüglichen Beständigkeit von Unterscheidung zu Unterscheidung: Die eigene und die andere Beobachtung sind als Pole wechselseitiger Anschauung bereits fixiert. Sie haben die (eingeklammerte) Differenz oder Kluft, ohne die ihre operationale Geschlossenheit gar nicht möglich wäre, bereits übersprungen.
Den Abschied von den leib-eigenen Bildern eines sich in technischen Artefakten ausdehnenden Menschen zu ermöglichen, ist nun gerade der Anspruch einer Diskursanalyse der technischen Medien. Ob und wie jedoch ihre desanthropologisierende Frage nach derTechnik immer noch eine nach dem Horizont zwischen Mensch und Technik bleiben muß, um nicht in eine neue Ontologie einzumünden, möchte ich nun thesenhaft umreißen. [...]
2. Diskursanalyse der technischen Medien
Die Soziologie entdeckte in ihrer Frage nach den Epochenschwellen der gesellschaftlichen Steuerung die "Verbreitungstechniken der Kommunikation"(Luhmann), während die Diskursanalyse der Medien. [...] (seit und mit Kittler) anzugeben versucht, wie dank und in den Medientechnologien der Speicherung und Übertragung epochemachende Macht- und Wissensfelder sich verändern. Die Geschichte der analogen Speicher- und Übertragungsmedien - so ihr pointiertes Grundaxiom - 'endet' in einem historischen Moment, in dem es technisch möglich wird, diese Medien in dem digitalen Medium 'aufzuheben'.Und doch ist diese Archäologie der nicht mehr nur in Textssystemen niedergeschriebenen Archive keine reine Technik-, Ingenieurs- oder Mathematikgeschichte. Eben weil Diskursregeln auch und gerade in diesen Feldern nicht einer ungebrochenen Entwicklung sich verdanken, sondern -wie Foucault für humanwissenschaftliche Diskurse gezeigt hat - ereignishaft sich verdichten: [...] ( Der Computer geht nicht vollständig in seiner eigenen Vorgeschichte auf, (W.Hagen, Texthinweise) [...].(zur Formalisierung der Kalkül- und Logikmaschinen von Leibniz über Boole, Shannon und Turing.) [...]
Erst aber das Zusammentreffen der -wissensoziologisch gesprochen: zugleich externen wie internen Steuerung von Informationstheorie und -technik (F.W. Hagemeyer) konnte eine singuläre Verflechtung von Krieg, Kybernetik und Kryptographie nachweisen [ ] Mit ihr ist eine 'Nachbarschaft zwischen der Welt der Maschinen und der des Symbolischen' (Kittler) möglich geworden und - so Norbert Wiener schon 1948, ein Begriffsfeld, das die Soziologen und Anthropologen aufmerksam machen sollte: die Grundbegriffe der Information und Übertragung nämlich , die nicht zu reduzieren sind auf Materie und /oder Energie. Für unsere engere Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Medialität sind nun zwei Aspekte hierbei grundlegend:
1. Mit dem Prinzip der strikten Sequentialität wurde [...] das Medium der Speicherung und Übertragung von material unspezifischen Zuständen und Übergängen möglich [...]
[...] Hiermit ist in Gestalt einer Verkettung von Netzwerken aus binären Logikmaschinen eine von den den vormaligen technischen Medien losgelöste Funktionslogik gegeben, die sich selbst und vormalige Medien re-präsentieren kann. Der 'interprationsfreie Symbolgebrauch', der sich der technisierten Aussagenalgebra verdankt, die ja nicht für Aussageninhalte sondern für formalisierbare Platzhalter von Wahrheitsvariablen und ihren Konjunktionen und Disjunktionen zuständig ist, erlaubt die Definition der Computer - so Sybille Krämer- als "Maschinen, die jede beliebige symbolische Maschine imitieren können". Diese substitutive Metaphorizität der Maschine kombiniert sich mit einer anderen, die die technischen Probleme der Übertragung und Substituierbarkeit von Nachrichten betrifft[...]
2. Aspekt: Die Auflösung des referentiellen Bezuges auf vorgegebene Zweckbestimmungen durch die universelle symbolischen Maschine verkreuzt sich mit dem, was in der modernen Sprachwissenschaft mit der Überwindung der vorher als natürlich oder strikt referentiell gedachten Eigenschaft der Zeichen denkbar wurde: Arbitrarität, Differentialität und Substituierbarkeit der verweisenden Zeichen. Zunächst aber findet sich das Problem der Funktion dieses 'bedeutungslosen Boten' oder Bedeutungsträgers wieder in dem Informationskonzept Norbert Wieners bzw. Claude Shannons: Bekanntlich fragt es nicht danach, was übertragen wird, sondern daß übertragen wird. Eingeklammert bleibt in diesem nachrichtentechnischen Diskurs das Verhältnis von Botschaft und Interpretation . Indem so mit der basalen Unterscheidung des syntaktischen Minimums Ja/Nein vom Rauschen in den Kanälen Information definiert wird als eine, die zwischen zwei gleichwahrscheinlichen Alternativen übertragen wird, wird zugleich eine nicht auf ihre materielle Trägergestalt zurückführbare 'differentielle Relation' eingeführt, die, wie Friedrich Kittler präzisiert hat, als " endlose Kombinatorik offener oder geschlossener, anwesender oder abwesender Systemzustände" entzifferbar und in Computertechnologie überführbar wurde.
Doch ob mit diesem universellen Medium des Symbolischen der Mensch und seine Sprache 'abgelöst'oder gar 'verabschiedet' wird, Medien 'anstelle' von Künsten treten, und wir mithin vom Joch der Subjektivität (Kittler) befreit werden, ist [vgl. Platzverweis, passim]
[...] Die Struktur der Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit, die der Sprache zukommt und vorausgeht, ist die nicht-technische, vor-gängige Voraussetzung der technischen Medien selbst, eben diese sprachliche Struktur der Ersetzbarkeit computertechnisch ersetzen zu können. Und darüberhinaus ließe sich die medienhistorisch einschneidende Platzverschiebung zwischen den Medien gar nicht datieren, gäbe es nicht einen dritten Ort, dem wir nun zum Abschluß als dem Zwischenraum des Symbolischen und Medialen begegnen werden.
3. Der Zwischenraum des Medialen
[...] Der anthropologische wie neurokulturelle Kurzschluss von Körper und Technik, Menschen und Programmen ist ein Phantasma (Gentechnologie), das die Sprache vergißt. Gerade aber die List oder Techne der Sprache, als Bote sich von der Botschaft, die sie überträgt, distanzieren zu können, ist die vor-gängige, nicht-instrumentelle Wendbarkeit oder Dis-ponibilität des Medialen.[...]
[vgl Bahr u.a.]
[...] Information ist weder Materie noch Energie, hörten wir. Ihre 'kleinste' Einheit -ein Bit- ist nach Gregory Bateson der Unterschied, der einen Unterschied macht. Doch diese Definition ist ungenau, da die Information ja keine materielle Einheit sein soll. Folglich - so Bernhard Viefs wegweisende Studie - ist ein Bit nicht einfach, sondern zweifach bzw. zwiespältig. Die Elementarzeichen sind keine Elementarteilchen, sondern Teiler:[zitat]"sie sind relativ, nicht absolut, und als Relationen haben sie weder räumliche noch zeitliche Ausdehnung, noch besitzen sie irgenwelche anderen physischen Qualitäten wie Masse, Geschwindigkeit oder Impuls. Sie sind immateriell." (B. Vief, Die Bits als Elementarzeichen, Paragrana 1/92)
Die Sprache als soziales Band ist - wie schon Sasussure zeigte - weder Form noch Substanz, Laut oder Gedanke, sondern deren sie ermöglichende Artikulation. Diese Artikulation prozediert als das ursprungslose Werden von Unterscheidungen, die sich unterscheiden dank eines rein differentiellen Stellungsspiels, ohne das es keine Stelle gäbe, und also keine Identität eines Zeichens, das irgendetwas repräsentieren könnte. Diese Bewegung der Differentialität ist weder anwesend noch abwesend, weder '0' noch '1'. Sie macht als reine Platzverschiebung erst mit-teilbar, daß etwas an seinem Ort sein kann. Der Trennungsstrich des Symbolischen kommt gleichsam dazwischen. Was hat dieser mediale Ab-Ort des Zeichens mit dem Binärcode der Maschine, d.h. der universellen Kombinatorik medialer Substitutionen zu tun? Nun: die binäre Zeichenfolge - O und 1 - , Anwesenheit und Abwesenheit, ist positionierbar ja erst als Effekt der sie artikulierenden Alternanz, die Plätze von 0 und 1, d.h. geschlossene und offene Türen, zusammentreffen läßt: "Was ist eine Botschaft im Inneren einer Maschine? Das ist das, das durch Öffnung oder Nichtöffnung vor sich geht, wie eine elektrische Lampe durch An oder Aus. Das ist etwas Artikuliertes, von derselben Ordnung wie die grundlegenden Oppositionen des symbolischen Registers." (Lacan, 117).
[...] Der Schalter oder: die 'Tür' ist, wie Lacan gezeigt hat, also das 'dritte' Moment: die Artikulation, die selbst weder offen noch geschlossen ist, sondern die Eröffnung dieser rein stellenwertigen Zustände . Die Tür ist - wie Lacan an der Prinzipschaltung der kybernetischen Maschine darlegte - das an sich selbst undarstellbare Symbol des Verschwindens und Auftauchens selber; etwas, das an seinem Platz fehlt. Jenseits vitalistischer oder mechanistischer Modelle ist mit der Theorie und Technik verschiebarer Plätze ein Denken der Leerstellen möglich geworden, die nicht die Leere oder Fülle eines vorgegebenen Raumes meint:" Der Wissenschaft dessen, was sich immer am selben Platz wiederfindet, substituiert sich so die Wissenschaft der Kombination der Plätze als solcher." (Lacan, 379)
Dieser weder anthropomorphe noch technomorphe Gestalt annehmende Ab-Ort des Signifikanten ist der Einschnitt, der etwas Sichtbares , Zeigbares, da oder nicht da sein läßt, eine Ordnung von Einschnitten im eminent technischen Sinne, über die wir nicht verfügen in einem manipulativen Sinne. Dieses Meta-Pherein, also Über-tragen der technischen Medien ist also genau der Bote, insofern er sich in allen Übertragungs-oder Sendetechniken (vom Marathonläufer über die Post bis zum elektronischen Netz) nur mit-teilt, in dem er sich zurückzieht:
[...] "Medium ist die Bot-schaft heißt also: die disponiblen Mittel sind stets medial ver-wendbar, d.h. als wie immer auch machtwirksame und machtverteilende Gebrauchsvorschriften zu beschreiben und als pragmatische, künstlerische und kommunikative Zugänge (vgl Kittler ueber protected mode usw.) veränderbar. Als 'ganze' sind sie so wenig verfügbar wie das Soziale (oder Öffentliche).
[...] Medialität deplaziert das Phantasma seiner Aneignung, da sie ein weder sinnlicher noch übersinnlicher Ort ist, eher eine Diaspora, eine Chora (Derrida).
[...] Das geläufige Bild des Technischen, so sahen wir zu Beginn, reduziert Unbekanntes auf Bekanntes: der Hammer verlängere den Arm, der Rundfunk dehne das Hörvermögen aus, das Fernsehen sei die Universalisierung des Auges. Doch der unverfügbare Ort des Symbolischen zeigte, daß die Techniken den Platz des Leibes als den seiner substituierbaren Imaginationen immer schon verschoben haben, anders gesagt: die Verschiebbarkeit der begehrten Objekte trennt apriori die ablösbaren Begehrensweisen des Leibes von der Funktion der instrumentellen Bedürfnisbefriedigung ab. Das Technische überformt nicht das Unmittelbare oder Natürliche, wie gerade Walter Benjamin und Martin Heidegger angesichts der Reproduktions und Übertragungstechniken ihrer Zeit gezeigt haben.
Und mit der Technologie der Information ist keine Prothese des Menschen vollkommener, wohl aber die imaginäre Zuweisung des Technischen als Leib-Eigenschaft fragwürdiger geworden; ebenso aber auch die Diskursfigur vom Ende der Gutenberggalaxis als Abschied vom Menschen oder der Geschichte. Die Einbildungskraft als Problematisierung sozio-technischer Vorschriften läßt sich durch das Erscheinen digitaler Medien nicht ersetzen.
Anders und abschließed gesagt: Man kann nicht in die unerschütterliche Welt der Dinge hineingleiten, weil die 'Unruhe der Sprache' - so Maurice Blanchot - 'der Neigung alles Gesagten, nämlich definitiv zu werden, zuvorkommt'.
[...] Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Autor:
Georg Christop Tholen, Gesamthochschule Kassel, Wissenschaftliches Zentrum für Kulrurforschung (WZ II)
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[aus M/T/G Hrsg.: Projektverbund "Theorie und Geschichte der Medien"]