Nach wie vor sind Befürworter wie Kritiker des >Internet< der Meinung: Am Ende des 20. Jahrhunderts ist die Kommunikation zum herrschenden Paradigma der neuen globalen Gesellschaft geworden. Das sagt zum Beispiel Armand Mattelart, der in der "monde diplomatique" die Szenarien der neuen Kommunikation kritisch unter die Lupe nimmt: Unaufhaltsam entwickelt sich eine Ökonomie immaterieller Ströme fährt er fort. Daß er und fast alle anderen das so sicher annehmen, konstituiert diese Ströme natürlich erst recht, aber das ist ein alter Hut.
Trotzdem: der Beitrag Mattelarts war einer der ersten etwas erfreulicheren, weil kritischeren Stellungnahmen. Die deutsche Ausgabe der "monde diplomatique" erscheint in der TAZ, aber auch die TAZ entblödet sich normalerweise nicht, auf naivste Weise dieses Netz zu hypen. Neuerdings hypen die ja sogar den militärischen Einsatz in Ex-Jugoslawien, aber das nur nebenbei.
Die weltweite Vernetzung scheint kaum Kritiker zu finden. Daß dies unser neues Megamedium wird, wird offensichtlich akzeptiert. Das Internet ist einer der Gründe dafür: Wo jeder plötzlich alles machen können soll und darf. Diese These trifft auf die ersten 20 Jahre des Internet bis zu einem bestimmten Maß zu, nachdem dieses ursprünglich vom Militär für die Zeit nach dem Atomschlag entwickelte Netz den Universitäten zur Verfügung gestellt worden war und neben den Lehrkräften auch die Studierenden begannen, via Computer und Telefon zu kommunizieren.
Mit der Einführung des World Wide Web mit grafischer Oberfläche, Fotos und Videos und der Aussicht auf Breitbandvernetzung, die man bis jetzt nur mit dicken Computern empfangen kann, wurde das Internet kommerziell interessant. Zwar kann da nach wie vor jede/r seine Seiten zusammenbauen und aufs Netz geben, unter der Voraussetzung, daß sie oder er einen Computer hat und entsprechend eingelernt wurde. Aber es wird damit tendentiell ein bißchen weniger kommuniziert wie vorher, als nur Text zur Verfügung stand, und dafür etwas mehr PRÄSENTIERT.
Da setzt denn eine Art Wildweststimmung ein, eine Aufbruchseuphorie, und wenn es was zu erobern gilt, müssen ein paar andere Dinge zurückstehen. Der Cyberspace ist die jüngste amerikanische Grenze wird Alvin Toffler, US-amerikanischer Futurologe, in der Frankfurter Allgemeinen angeführt. Go west heißt heute go world wide. Und weltweit gehen mal wieder nur die Industrienationen, allen voran die USA. Da äußert sich Zbigniew Brzezinski, früher Direktor des Research Institute on Communist Affairs an der Columbia University und danach Sicherheitsberater von Jimmy Carter: Die Beherrschung des Weltmarktes der Kommunikationstechnologie bildet zu einem sehr großen Teil die Grundlage der US-amerikanischen Macht. Dadurch wird eine Massenkultur geschaffen, die andere Völker zu politischer Nachahmung drängt. Um eine neue Phase der Internationalisierung zu charakterisieren, tauchte in den achtziger Jahren ein Begriff auf: Globalisierung. Auch hier erkennen Kritiker wie Mattelart an, daß unsere Gesellschaften immer mehr von Produkten und Netzen abhängen, die ihrer eigenen Logik nach nur im Weltmaßtab funktionieren. Aber er meint auch, daß der Ausdruck die Komplexitität der neuen Weltordnung eher verbirgt als enthüllt. Da schließt sich die Frage an : Wem nützt das? Brzezinski hat eine Antwort:
Die USA sind die erste globale Gesellschaft der Geschichte. 65% aller Kommunikation gehen von den USA aus. Nur Amerika - dank seiner Kulturerzeugnisse und seiner Kulturindustrie, aber auch dank seiner neuen Techniken, Methoden und Organisationspraktiken - bietet uns demzufolge ein globales Modernitätsmodell.
Damit wird einmal mehr deutlich, wie wichtig Kommunikation, aber eben auch KULTUR und ihre Erzeugnisse genommen werden, wenn es darum geht, die Welt zu erobern. Brzezinski will dabei mit den Begriffen globale Stadt und globale Gesellschaft den alten Begriff Imperialismus schon abgeschafft wissen. Eroberungsstimmung auch bei den Internetfans meiner peer group bzw. der Gesellschaftsgruppe, zu der ich mich zähle. Auch hier will man daran gehen, den Cyberspace zu okkupieren, auch hier wird behauptet, daß es Imperialismus gibt nicht gibt. Zweifel sind nicht angesagt. Wer auf der Suche nach der radikalen Erfahrung ist, hat wie viele auch der kritischen Theoretiker der Netze, so bspw. Marie-Louise und Arthur Kroker, Nietzsches Wille zur Macht in den - ich zitiere -virtuellen Händen.
Mit seiner Professionalisierung habe sich Kommunikation als betriebswirtschaftliches Modell in der ganzen Gesellschaft durchgesetzt und werde mittlerweile vom Staat als hervorragende Technologie des Sozialmanagements betrachtet, schreibt Mattelart mit Blick auf die Werbung. Eine - angenommene - Meinungsfreiheit der Bürger/innen hat seiner Meinung nach Konkurrenz in Gestalt der Werbefreiheit bekommen, die uns als neues Menschenrecht präsentiert wird. Jeder darf werben. Ein wenig alt-weltlerisch verweist er auf eine Auseinandersetzung der Europäischen Union mit den USA, bei der sich letztere durchsetzten. Seitdem gelten für die Kommunikation die Regeln des Freihandels. So interpretiert wird die Freiheit auf Handelsfreiheit reduziert.
Die Hauptidee dessen, was mit der Globalisierung und inzwischen auch der Vernetzung transportiert wird, lautet demnach, daß auf einem freien Markt freier Wettbewerb herrschen muß zwischen Individuen, die die freie Wahl haben, welche Produkte einer marktbeherrschenden Industrie sie dekodieren wollen. Ein neoliberales Axiom: die theoretische Rehabilitierung des Empfängers im Kommunikationsprozeß reduziert sich auf den Wettbeweb; wer dort unterliegt, muß sich unterordnen.
Ich frage mich derzeit, was die ganzen Leute und auch mich dazu bringt, dieses überdimensionierte Servicesystem, denn darum handelt es sich momentan, so unhinterfragt zu bedienen, indem sie voller Freude ihre Informationen auf den Seiten des World Wide Web zur Verfügung stellen. Funktioniert dieses Seitenbauen am Ende nicht wie Werbung - für sich, für andere, für die neugegründete kleine Firma... Ganz anders als die auf der Basis von Texten aufgebaute Kommunikation im Internet, für die der Mythos des freien Meinungsaustausches konstitutiv gewesen war. Dieser Mythos dient wiederum als Werbung fürs Internet.
Ich kann jedenfalls in Berlin zu einer linken Druckerei gehen und bin in der Diskussion nicht, wie erwartet, mit Fundamentalgegnern konfrontiert, sondern einerseits mit ärgerlichen Fragen und andererseits mit begeisterten AnhängerInnen des Mediums. Schließlich können ja demnächst Bilder direkt aus Nicaragua an die Berliner Druckerei oder Infozeitung gesendet werden, binnen Sekunden, Highquality.
Natürlich sind das, wie auch alternative Infopools, die Möglichkeiten eines solchen Netzes! Je mehr davon, desto besser, weil unkontrollierbarer - dabei sollte aber nicht außer Acht gelassen werden, daß der alternative Infoserver immer noch am Rand des Informationsraumes steht, dessen Myhtos mit der freiwilligen Informationsabgabe weiter ausgebaut wird. Mit derselben Freiwilligkeit wird auch ein Infopool für diverse Staatsschützer und Werbestrategen eingerichtet, deren technische Mittel durchaus ausreichen, die vorhandene Datenmenge zumindest nach Schlüsselwörtern zu durchsuchen. Und (fast) jede Nachricht kann bis zu ihrem Ausgangspunkt zurückverfolgt werden.
Was das neue Global-Lokal-Prinzip betrifft, hat die Druckerei hat jedenfalls bis jetzt noch kein Bild aus Nicaragua gesehen. Die Worterfindung für das Global-lokale Verhältnis kommt übrigens aus der Industrie, diesmal aus dem japanischen Management: GLOCALIZE. Denn auch die neue Unternehmensphilosophie betrachtet das Geschehen auf dem Weltmarkt kybernetisch. Es geht um eine Integration der Entwicklungs-, Produktions- und Konsumräume. (Anm. Mattelart)
Die weiterhin faszinierten User möchten die Freiräume erhalten, die die Hacker der 80er erfunden haben. Dafür stehen in den USA Liberalradikale wie derHoward Rheingold oder die Aktiven der Digitalen Stadt in Amsterdam und der Internationalen Stadt in Berlin. Ihr Aktivismus besteht vor allem darin, Geld zusammenzukriegen, um ihren Laden am Laufen zu halten. Natürlich regen diese digitalen Städte 100 mal mehr zur Kommunikation an als all die Apple-Worlds und Microsoftnetworks, in denen es auschließlich ums Konsumieren geht. Gleichzeitig entstehen jedoch immer mehr konsumorientierte Städte. Oder man führt - wie dies Regierungsfuturologe Toffler tut - das Klischee des Hackers stolz als Beispiel für den US-amerikanischen Traum an: Der Hacker wurde zum Techniker, zum Erfinder und immer wieder auch zum Schöpfer von neuem Wohlstand in Form neür Unternehmen, die Amerika zu einer führenden Rolle bei der Erschliessung des Cyberspace verholfen haben.
Unter dem Titel No Borders diskutieren im Oktober '95 in Budapest AkteurInnen der Digitalen Städte, TheoretikerInnen und Fans die Möglichkeiten und Gefahren computernetzgestützter Kommunikation. Auch ich gehe zu solchen mehr oder weniger regelmäßigen Treffen, weil ich der Meinung bin, daß man sich in diesem Medium engagieren kann - aber nicht muß. Aber ich frage mich, ob nicht genau diese Veranstaltungstitel, wie z.B. auch last frontier, global communication usw. jetzt endlich abgeschafft werden können bzw. müssen, weil damit auf der gleichen Schiene gefahren wird, wie dies Bill Gates und all die anderen tun. Schließlich handelt es sich nicht (nur) um globale Kommunikation, sondern um globale Ökonomie. Und: Die Globalisierung der Ökonomien und Kommunikationssysteme gehen immer mit der Erzeugung neuer Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Ländern und Regionen beziehungsweise zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einher, um nochmal Mattelart zu bemühen.
Vielleicht können sich ja die Theoretiker/innen der Netze mittlerweile von Wirtschaftskritiker/innen ablösen lassen... und vom digitalen Untergrund, der gegen die Pazifizierungsprogramme der Happy Face Fun Enforcers jede Menge Datanoise setzen möchte. Wenn das mal nicht ein Mythos ist - trotzdem: Glocalize your Scheiß!
[Beitrag für Radio TM , Shedhalle Zürich, 9/95]