interfiction
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11-7-96
autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe
Bewegungsle(e/h)re?
Anmerkungen zur Entwicklung alternativer und linker Gegenoeffentlichkeit
Obwohl die (radikale) Linke sich permanent selbst vergewissert, welch
toter Hund sie im Grunde genommen sei, will sie selbst doch nicht ganz
daran glauben. Derzeit unternehmen nicht wenige disputierende Zirkel
unter dem Label 'Gegenoeffentlichkeit' einen Wiederbelebungsversuch. Doch
fuer uns besteht der Verdacht, dass die Rosskur des medialen (Dis)Kurses
von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, nachdem die Utopien abhanden
gekommen sind.
Die aktuellen Diskussionen zum Thema 'Gegenoeffentlichkeit' erscheinen
uns mit zwei Tendenzen eng verknuepft: dem generellen Lamento ueber die
heutige Krise der linken Medien einerseits und den dazu kontrastierenden,
mitunter fast euphorischen Hoffnungen auf die mit den neuen telematischen
Kommunikationstechnologien (Internet) verbundenen Moeglichkeiten.
Im folgenden gehen wir zunaechst der linken Version des Mythos von der
'Informationsgesellschaft' nach. Daran schliessen sich zum zweiten
einige Anmerkungen zur Rolle der alternativen und eigenen Medien in der
'Bluetezeit' der sozialen Bewegungen an. Drittens versuchen wir, einige
Konsequenzen fuer die Rekonstruktion eines politischen Projekts einer
radikalen Linken zu umreissen, die sich vor dem Hintergrund der
analysierten aktuellen Tendenzen im Bereich 'Gegenoeffentlichkeit' ergeben.
Medientheorie und Informationsfetisch
Bei der gegenwaertigen Diskussion um linke Gegenoeffentlichkeit und
Gegenmacht werden unseres Erachtens zwei historisch unterschiedliche
linke Medienkonzepte staendig durcheinandergeworfen. In Anlehnung an
Geert Lovink (Agentur Bilwet, Amsterdam) gehen wir davon aus, dass es
Sinn macht, die Medien der linken Gegenoeffentlichkeit hinsichtlich ihrer
Funktion idealtypisch in 'alternative' und 'eigene' Medien zu
unterscheiden. 'Alternative' Medien spiegeln sich vornehmlich an den
buergerlichen Medien, indem sie bestaendig eine inhaltlich korrigierende
und das bestehende Informationsspektrum ergaenzende Aufgabe wahrnehmen.
Dabei kam den 'alternativen' Medien vor allem bei der Bereitstellung
abweichender Lesarten sozialer und politischer Widersprueche in den
70er/80er Jahren eine wichtige Funktion fuer die Konstitution einer
'liberalen' Oeffentlichkeit zu. Davon zu unterscheiden ist die
Herausbildung 'eigener' Medien, die nicht mehr so sehr auf die
Bewusstwerdung der anderen, sprich auf eine direkte Beeinflussung bis
Bereicherung der allgemeinen 'Oeffentlichen Meinung' setzen. Der
eigentliche Unterschied zu den 'alternativen' Medien besteht dabei in der
Art und Weise der Selbstpositionierung auf politischem Terrain, die sich
nicht nur inhaltlich in explizit linken Stellungnahmen und Diskussionen
aeussert, sondern auch ueber das Aufgreifen subkultureller Themen und
Codes. Auf Szenen und subkulturelle Orte bezogen stellen 'eigene' Medien
gewissermassen Orientierungspunkte der dortigen sozialen Praxis
bereit. Dabei kommt ihnen primaer eine Identitaeten und Binnendiskurse
stabilisierende Funktion zu. Zwar bewegen sich die 'eigenen' Medien in
einem durch Slang und Gangart ihrer subkulturellen Basis eng begrenzten
Raum, doch funktioniert hier der Austausch zwischen Publikum und
Macherinnen noch am besten.
Bei dieser Einschaetzung der Funktionsweise linker Medien wird deutlich,
dass die sozialen Beziehungsrahmen und die aussermedialen politischen und
kulturellen Praxen, in die sich linke Medien einordnen, fuer uns einen
zentralen Stellenwert haben. Die Bedeutung dieses Bezugs wurde aber in
den Diskussionen um linke Gegenoeffentlichkeit weitgehend ausser acht
gelassen, solange ueberzogene Vorstellungen von den Moeglichkeiten einer
medialen linken Intervention in die buergerliche Oeffentlichkeit
dominierten. Es wurde, zugespitzt formuliert, davon ausgegangen, dass nur
genug Aktivistinnen an moeglichst vielen Stellen Gegenoeffentlichkeit
herstellen muessten, wodurch dann irgendwann eine gesellschaftsveraendernde
Kettenreaktion ausgeloest wuerde. Eine Vielzahl linker Medienprojekte stellte
sich aus dieser Logik heraus die Aufgabe, die in den buergerlichen Medien
unterbliebenen Nachrichten zu verbreiten. Diese Konzeption von
'Gegenoeffentlichkeit' bezeichnet G. Lovink als 'Megaphonmodell', denn sie
unterstellt unausgesprochen einen kausalen Zusammenhang zwischen Information,
Bewusstsein und Handeln. Dahinter steht die Vorstellung einer manipulativen
Medienwirkung, derzufolge es ausreicht, im Kommunikationskanal die 'falschen'
Ideen durch die 'richtigen' zu ersetzen: Wenn die Menschen nur lange genug
'die Wahrheit' hoeren, werden sie irgendwann ihre Meinung aendern und sich
gegen die (sie be)herrschenden Verhaeltnisse wenden. Diese klassische
Konzeption zur Schaffung von Gegenoeffentlichkeit kann sich auf Theoretiker
wie Brecht oder Enzensberger berufen. Sie naehrten im Glauben an die Wirkung
von richtigen Informationen die Ueberzeugung, dass es genuege, wenn die
Linke die Sendezentralen der Massenmedien uebernaehme bzw. ueber
ausreichend starke eigene Medien verfuege, um ihren Ideen Plausibilitaet
und Durchschlagskraft zu verleihen. Ein derartiges medientheoretisches
Konzept, das darauf abzielt, Handeln durch Information zu bewirken,
versteht die Medien letzten Endes als Manipulationsinstrument. Die
Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass ein solches, auf die
Uebermittlung der 'richtigen' Informationen fixiertes Verstaendnis von
Medien und Medienrezeption zu kurz greift. Denn heute sind, nicht zuletzt
durch die Existenz von Gegenoeffentlichkeit, auch gesellschaftskritische
Informationen jederzeit verfuegbar. Sie bleiben aber folgenlos. Das
deutet darauf hin, dass die Medienkonsumenten gezielt Informationen
auswaehlen und andere ignorieren. Diese Auswahl ist strukturiert durch
das Interesse, gesellschaftliche Wirklichkeit in einer Weise
wahrzunehmen, die die eigenen Selbst- und Gesellschaftskonzepte
legitimiert. Es geht darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass es ein
gesellschaftliches Verhaeltnis gibt, das Erkenntnis vorstrukturiert. So
wird umgekehrt ein Schuh daraus: Heute mangelt es in der
buergerlichen Gesellschaft nicht an Informationen, sprich an
Gegenoeffentlichkeit, sondern das Hauptproblem ist deren absolute
Folgenlosigkeit.
In "Oeffentlichkeit und Erfahrung" haben Negt/Kluge bereits 1972 darauf
verwiesen, dass die Subjekte sich "die blosse Abbildung der Realitaet"
nur dann aneignen, wenn sie zugleich wissen, wie sie aktiv die sie
bedrueckenden Verhaeltnisse veraendern koennen: "Erst aus dieser
Handlungsmoeglichkeit koennte sich ihr Interesse am Realismus
rekrutieren." Das macht deutlich, dass ein umfassender
Gegenoeffentlichkeitsbegriff nicht auf den medialen Aspekt reduziert
werden darf. Mediale Interventionen muessen in einem umfassenderen
Kontext von sozialem, politischem und kulturellem Handeln gedacht werden.
(Gegen-) Oeffentlichkeit ist dann mehr als Bildschirm, Radio oder
Zeitung. Mediale Strategien, die allein auf den Informationsaspekt setzen
und den umfassenderen Lebenszusammenhang bei der Konzipierung politischer
Strategien aussen vor lassen, laufen Gefahr, den medialen Bereich zu
ueberschaetzen. (Mit dieser Ueberschaetzung von Medienwirkungen befinden
sie sich uebrigens in gutbuergerlicher Gesellschaft, vgl. die
Diskussionen um Mediengewalt.)
In diesem Zusammenhang erscheint uns ein weiterer Aspekt wichtig, der
zwar genau wie Negt/Kluges Erkenntnis hinreichend bekannt ist, aber
genausowenig Folgen fuer die Diskussion der Strategien linker
Gegenoeffentlichkeit hatte: Die linken medientheoretischen Vorstellungen
in der Nachfolge Brecht/Enzensbergers setzen voraus, dass die
herkoemmlichen Massenmedien sich - einmal im Besitz der richtigen Leute -
als ein Instrument zur demokratischen Willensbildung einsetzen lassen.
Aber das ist eine Mystifkation, denn Massenmedien sind nicht
demokratisch. Ihre Kommunikationsform macht einen wirklich
gleichberechtigten Austausch unmoeglich, denn Massenmedien beruhen auf
dem Prinzip der Vervielfaeltigung von Informationen in nur eine Richtung,
von den Produzierenden hin zu den Konsumentinnen. Ausserdem reproduzieren
sie durch die Einbahnstrasse ihres Kommunikationskanals Machtpositionen.
Eine Strategie von Gegenoeffentlichkeit, die sich auf Massenmedien
stuetzt, vergisst, dass Massenmedien keine Reziprozitaet im Sinne von
Gegenseitigkeit ermoeglichen, sondern einen eng gesteckten Rahmen setzen,
was von wem in welcher Weise mitgeteilt werden kann und wer zum Schweigen
verurteilt ist. Reversibilitaet (also Umkehrbarkeit des
Informationsflusses, z.B. Hoererinnenanrufe oder Leserinnenbriefe) ist
nicht mit Reziprozitaet gleichzusetzen. Aufgrund dieser
Nicht-Reziprozitaet koennen Massenmedien fuer die Empfaengerinnen
allenfalls in sehr reduzierter Weise Ausgangspunkt oder Element von ueber
den reinen Medienkonsum hinausgehenden sozialen Praxen werden (fuer die
Macher mag das anders aussehen).
Gegenoeffentlichkeit und soziale Praxis
Diese Kritik an einem verbreiteten linken Medienverstaendnis rueckt aus
unserer Sicht auch die derzeitige Krise alternativer Medien in ein
anderes Licht. Denn moeglicherweise war es gar nicht so, dass linke
Gegenoeffentlichkeit 'frueher' besser 'funktionierte'. Wir denken, dass
nicht die damalige Medienpraxis gut war, sondern vielmehr, dass die
Staerke der sozialen Praxis die Unzulaenglichkeiten der medialen,
'inhaltlichen' Vermittlung unsichtbar machte. Wo man glaubte, durch
Aufklaerung weitergekommen zu sein, war es in Wirklichkeit nicht die
schlagende Brillanz der Argumente aus der Gegenoeffentlichkeit, die
bei vielen Leuten ein Interesse fuer bestimmte Themen und Sichtweisen und
ein Beduerfnis nach entsprechenden Informationen hervorrief. Vielmehr
war dieses Interesse Ausdruck von Veraenderungen der eigenen
Lebenszusammenhaenge vor dem Hintergrund jener gesellschaftlichen
Transformationen, in deren Zuge auch die 'neuen sozialen Bewegungen' ihre
Bedeutung gewannen.
Etwas zugespitzt liesse sich daraus folgern, dass es nicht die linken
Medien waren, die zur Ausbreitung der politischen Bewegungen beitrugen,
sondern dass umgekehrt die Staerke der Bewegungen vor dem Hintergrund
einer spezifischen gesellschaftlichen Situation den linken Zeitungen,
Zeitschriften und Radios zu einer gewissen Verbreitung verhalf. Und in
dieser Lesart ist es offensichtlich, worin der Unterschied zwischen den
Funktionsweisen linker Oeffentlichkeit damals und heute besteht. Die
Friedens-, die Anti-AKW- oder die feministischen Bewegungen boten
konkrete Handlungsangebote und -zusammenhaenge. Gegenoeffentliche
Medieninformationen gewannen vor diesem Hintergrund ihr Interesse, wurden
verbreitet und rezipiert. Die Tatsache, dass Medieninformation ohne im
Rahmen einer sozialen Praxis gegebene Handlungsmoeglichkeiten wirkungslos
bleibt, fiel damals gar nicht weiter auf, und dies fuehrte zu dem
Trugschluss, dass Medieninformation per se zu politischem Handeln fuehrt.
Heute aber wird vor dem Hintergrund des Fehlens starker politischer und
sozialer Bewegungen deutlich, dass zwischen Anspruch und realer Funktion
von Medien der 'Gegenoeffentlichkeit' ein Widerspruch besteht (und
vielleicht schon immer bestand). Auch solche Medien, deren Anliegen es
war, in die buergerliche Oeffentlichkeit zu wirken, dienten faktisch wohl
doch in erster Linie eher der Vernetzung und Selbstvergewisserung
innerhalb der Linken, so dass es sich letzten Endes eher um 'eigene' denn
alternative Medien handelte. Solange soziale und politische Bewegungen
der 70er Jahre 'intakt' waren, fiel dieser Widerspruch zwischen Anliegen
und tatsaechlicher Funktion ebensowenig auf wie die Tatsache, dass
Information und Ideologiekritik fuer sich genommen keinen Hund hinter dem
Ofen hervorlocken. Nun aber unterstreicht die Entwicklung die Richtigkeit
von Negt/Kluges Analyse, dass Information per se nichts bewirkt, wenn
nicht eine soziale Praxis damit verbunden ist. Wenn aber Stellenwert und
Wirkungsweise von Information nicht allein durch ihren Wahrheitsgehalt
bestimmt sind, sondern durch den Kontext, innerhalb dessen Information
rezipiert wird und die Schluesse und Handlungsweisen, die daraus
abgeleitet werden, dann ist das Konzept einer Aufklaerung durch
Information problematisch.
Campaigning
Betrachten wir ueber den Tellerrand der linken Medienpraxis hinaus den
Mainstream der buergerlichen Massenmedien, so scheint es zunaechst, dass
ein solcher Blick unsere These "Informationen bleiben tendenziell
folgenlos" widerlegt. Themen, die eigentlich in den Bereich der
klassischen Gegenoeffentlichkeit (Oekologie, Ruestung) gehoeren, wurden
Gegenstand grossangelegter und in ihrem selbstgesetzten Rahmen auch
erfolgreicher Medienkampagnen. Auf kurzfristige Ziele bezogen, erreichten
die Greenpeace-Proteste gegen das Versenken der Shell-Bohrinsel in der
Nordsee sowie gegen die franzoesischen Atomversuche auf dem Mururoa-Atoll
relativ grosse Breitenwirkung. Naja, Greenpeace ...
Aber solche Aktionen, die die Funktionsweise oeffentlicher Medien genau
kalkulieren, um eine moeglichst breite Wirkung zu erzielen, sind auch in
anderen Bereichen moeglich. Waehrend kleine politische Gruppierungen seit
Jahren versuchten, Solidaritaet mit dem politischen Gefangenen Mumia Abu
Jamal zu organisieren und nur relativ bescheidene Erfolge erzielen
konnten, gelang es in einer grossangelegten Solidaritaetskampagne
wenigstens zunaechst, den staatlichen Mord an Mumia zu verhindern.
Offenbar ist es also durchaus moeglich, durch eine bestimmte Form der
Nutzung buergerlicher Medienoeffentlichkeit nicht nur gesellschaftliche
Resonanz, sondern auch konkrete Erfolge zu erzielen. Bedingung fuer eine
solche Mediennutzung, die wir hier als Campaigning bezeichnen, ist
allerdings, sich den Funktionsmechanismen buergerlicher Medien weitgehend
zu unterwerfen. Professionalisierung, Effizienz und Medienkompatibilitaet
werden hierbei zu wesentlichen Kriterien politischen Handelns. Der
Medienfetisch 'Ereignis' bestimmt, was berichtet wird. Das Spektakel der
Greenpeace-Aktionen bedient diesen Fetisch ebenso wie die Darstellung von
Mumia ("Der Mann, der ein Buch aus der Todeszelle schrieb"). Der Erfolg
dieser Art von Campaigning liegt nicht zuletzt darin, dass es sich auf
kurzfristige, punktuelle und 'realistische' Interventionen beschraenkt,
in deren Rahmen der Medienkonsumentin konkrete Handlungsanweisungen
angeboten werden, an denen jeder im Rahmen seines Alltages mitmischen
kann: Tankt nicht bei Shell, kauft keine franzoesischen Produkte,
schreibt an Richter Sabo.
Diese Handlungsanweisungen stellen aber das grundsaetzliche Handeln bzw.
die Lebensweise der Handelnden nicht infrage, sondern ermoeglichen es den
Buergerinnen, sich als kritische Teilhaberinnen am politischen Geschehen
wahrzunehmen, ohne die Verfasstheit der Gesellschaft als Ganzes zu
kritisieren. Das massenmedial vermittelte gesellschaftliche Handeln
erschoepft sich darin, im Einklang mit zumindest Teilen der Herrschenden
in Einzelfragen zu intervenieren (Weizsaecker und Kinkel fuer Abu Jamal).
Losgeloest von jeglicher grundlegenden Gesellschaftskritik dient diese
Form der Intervention hauptsaechlich dem guten Gewissen aller
Beteiligten. Es entsteht weniger eine soziale Praxis als eine (mediale)
Simulation derselben (In demselben Sinne liessen sich vielleicht auch die
Lichterketten als eine Simulation von Antirassismus interpretieren, die
eine nicht existierende antirassistische Alltagspraxis ersetzte). Es soll
jetzt nicht darum gehen zu behaupten, Campaigning sei per se verwerflich
und diene nur der Stabilisierung gegenwaertiger gesellschaftlicher
Verhaeltnisse. (Auch uns ist es lieber, dass Mumia noch lebt.) Vielleicht
steckt in solchen Medienkampagnen ja doch noch ein Kern von Politisierung
der Konsumentinnen. Aber: Schon aufgrund der Struktur massenmedialer
Kommunikation ist mehr wohl prinzipiell nicht zu erreichen. Eine
Handlungsaufforderung wie "Kauft nicht bei Shell!" laesst sich
massenmedial erfolgreich vermitteln. Eine soziale Praxis, die auf
grundlegendere Veraenderungen der Gesellschaft abzielt, ist aber nicht in
solche Anweisungen zu kleiden. Sie erfordert Diskussionen, Versuche, Mut
zum Unfertigen und Unrealistischen - all das, wofuer in der
Einbahnstrasse massenmedialer Kommunikation kein Platz ist.
Don't believe the Hype? Gegenoeffentlichkeit im Internet
Wenn wir uns der Frage zuwenden, welche Chancen sich fuer eine linke
'Gegenoeffentlichkeit' aus neuen technischen Entwicklungen ergeben, ist das
fuer uns zentrale Problem nicht, welche neuen Kanaele der
Informationsuebermittlung sich durch freie Radios, Mailboxen und Internet
allgemein bieten. Vielmehr geht es darum zu klaeren, wo solche Medien im
sozialen Raum positioniert sind und welche neuen (Handlungs)perspektiven
sie eroeffnen. Auch die Diskussionen um das Internet als neuen Ort linker
Medienpraxis kreisen in erster Linie um den Fetisch "Information,
Information, nochmal Information und zwar fuer alle". Dabei werden
Diskussionen ueber die nun technischen Moeglichkeiten von
Gegenoeffentlichkeit wiederholt, wie sie aehnlich z.B. auch im
Zusammenhang mit freien Radios gefuehrt wurden. Berauscht von der
Tatsache eines riesigen, internationalen und deswegen kaum zensierbaren
Informationsflusses bleibt die Diskussion zumindest innerhalb der Linken
haeufig an diesem Punkt stehen. Dabei ist auch hier zu fragen, welcher
Stellenwert solcher Information zukommt: "Die Rede von der Mailbox als
universelles Medium erweist sich vollends als Mythos, wenn der Austausch
von Daten und politischen Informationen zum puren Selbstzweck wird, falls
diese sich am Ende nicht in politischer Praxis materialisieren. Das
heisst, die Anwendung dieser neuen Technologie (fuer sich genommen)
erreicht nichts!" (Thomas Kunz, links 3/94).
Die spannendere Frage waere aber aus unserer Sicht, was von Vorstellungen
zu halten ist, die das Internet auch und gerade als potentiellen Ort
neuer sozialer Praxen verstehen. Es darf nicht uebersehen werden, dass
sich das Internet von traditionellen Medien insofern wesentlich
unterscheidet, als es die Moeglichkeit einer reziproken und interaktiven
Kommunikation bietet. Besteht die Aussicht, sich in diesem Rahmen
selbstbestimmte Orte zu schaffen, 'temporaere autonome Zonen' (Hakim
Bey), in denen die gesellschaftlichen Regeln zumindest zeitweise ausser
Kraft gesetzt (bzw. noch gar nicht verbindlich formuliert) sind? Und wenn
ja, welche Auswirkungen hat das auf die soziale Existenz ausserhalb der
Netze?
Die Kritik an solchen Vorstellungen wird haeufig von einer Position aus
formuliert, die offen oder implizit die 'authentischen' Formen von
Kommunikation, Interaktion und sozialer Praxis in der 'wirklichen' Welt
der Scheinwelt des Cyberspace gegenueberstellt. Uns erscheint eine solche
unterschwellig naturalisierende Gegenueberstellung und Bewertung von
Formen menschlicher Praxis fragwuerdig. Vielleicht bietet gerade die
reduzierte und 'unauthentische' Form der Kommunikation im Netz die
Chance, dort bestehende soziale Identitaeten zumindest teilweise ausser
Kraft zu setzen. Bei der Beurteilung, welche tatsaechlichen
Moeglichkeiten sich hier bieten, ist unkritische Begeisterung ebenso
unangebracht wie vorschnelle Ablehnung. Viele Fragen, die sich uns
aufdraengen, sind aus anderen Zusammenhaengen wohlbekannt: Wer sind die
Akteure im Internet (90 % maennliche weisse Metropolenmittelschichtsbuerger,
genau wie in der Linken ...)? Wie lange wird es dauern, bis die bestehenden
Spielraeume in Netz juristisch und polizeilich domestiziert sind? Inwieweit
besteht die Gefahr, einmal mehr die Funktion der Avantgarde im
kapitalistischen Modernisierungsprozess zu uebernehmen, deren Praxen dann
in kommerzialisierter und entschaerfter Form in den gesellschaftlichen
Mainstream eingehen? Wesentlich erscheint es uns auf jeden Fall, sich bei
der Diskussion nicht selbst in den Cyberspace zu katapultieren, sondern
das Verhaeltnis von Cyber-Netzkommunikation und Kommunikation im 'realen'
Echtzeitleben im Auge zu behalten. Sonst laufen wir stets Gefahr, allzu
technologiezentriert zu diskutieren oder gar dem Mythos der
'Informationsgesellschaft' aufzusitzen.
"Vorwaerts und viel vergessen!"
Es bleibt zum Schluss die Frage, was aus unseren Ueberlegungen fuer die
linke Medienpraxis folgt. Das Hauptziel derzeitiger linker Politik
muesste unseres Erachtens sein, Alternativen ueber die Natur
gesellschaftlicher Beziehungen gegenueber dem bestehenden hegemonialen
Konsens wieder denkbar zu machen, wobei es notwendig ist, die
Modalitaeten der Herstellung dieses Konsens in Rechnung zu stellen.
Ungeachtet der Verschaerfung von Klassengegensaetzen vollzieht sich
gleichzeitig eine Ausdifferenzierung von Lebensstilen und deren
Repraesentation in der buergerlichen Oeffentlichkeit. Das hat zur Folge,
dass, was sich frueher als klar umrissener hegemonialer Diskurs ausmachen
liess, heutzutage immer schwerer zuordenbar ist. Das liegt unter anderem
auch daran, dass sich dieser Diskurs in erster Linie nicht mehr um
bestimmte Inhalte dreht, sondern zugleich in der Form ihrer
Repraesentation aufgeht. Damit geht ein Eindringen in das Themenfeld
alternativer Medien einher, deren Form absorbiert und deren Inhalte
neutralisiert werden (So, wenn die in den alternativen Medien
entwickelten innovativen kulturellen Servicefunktionen mittlerweile die
oekonomische Grundlage von Stadtmagazinen a la Prinz geworden sind).
Aufgrund des mit dieser Entwicklung einhergehenden Funktionsverlusts
sehen sich die Medien der 'Gegenoeffentlichkeit' auf die Rolle von
Fanzines zurueckgeworfen, die sich nur noch an eine relativ kleine
soziale Gruppe wenden.
Als solche sind sie allerdings keinesfalls funktionslos. Linke Medien
koennen nach wie vor einen Ausgangspunkt bilden, um bestimmte
Informationen in eine (auch buergerliche) Oeffentlichkeit zu tragen und
dort Momente einer Delegitimierung der herrschenden Ordnung zu bewirken;
derartige Informationen sind nicht deshalb unnoetig, weil sie nicht
zwangslaeufig zu gesellschaftsveraenderndem Handeln fuehren. Es gilt
aber, die Beschraenktheit einer solchen Funktion von Medien zu
reflektieren und um Moeglichkeiten und Spielraeume sozialen Handelns zu
ringen (catchen? boxen? aikido?). Eine gesellschaftsveraendernde soziale
Praxis bedarf der Utopie von einer anderen Gesellschaft. Doch ein solches
Projekt darf nicht als hauptsaechlich medial erreichbares gedacht werden.
Gesellschaftliche Veraenderung beginnt auch und in erster Linie im
sozialen Alltag der Subjekte. Die Utopie einer anderen Gesellschaft
laesst sich nicht in Buchstaben, sondern allenfalls in kulturellen Formen
artikulieren, nicht als fertiger Text, sondern stets fragmentiert und
unvollstaendig. Und in einem solchen Kontext haben die linken Medien einen
wichtigen Platz, auch wenn derselbe den Machern (welche bekanntlich gerne
grosse und weitreichende strategische Gedanken formulieren) nicht behagen
mag: Als Fanzines einer Subkultur sind linke Medien unverzichtbar.
Gemessen an alten Illusionen mag das wenig sein. Mehr als nichts ist es
allemal.
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[Anmerkungen: Diese Version des Textes dient zur Diskussion des Begriffs
Gegenoeffentlichkeit. Eine nachfolgende Version erschien in der links
(Sozialistische Zeitung). Eine update Version 2.0. erscheint im Edition ID-Band
zum Thema Netzkritik (Hrsg. Geert Lovink und Pit Schultz, Erscheinungsdatum
voraussichtlich Herbst 1996).]