Werbung und Politik
6. Netze und Werbung
7. Netze und Politik
8. Politische Planungsziele
Ideologiekritik
9. Das bürgerliche Bewußtsein
10. Utopiehybride
Der internationale Mailbox Dachverband 'Association of Progressive Communication' APC wird von Personen in 94 Staaten benutzt. Das ComLink Netz integriert mittlerweile 30.000 'User'. Die Internet Newsgroups können von 30 Millionen Personen benutzt werden. Angeschlossen an diese Foren sind Nongovernmental Organisations wie Greenpeace, aber auch Regierungen, Parteien, Gewerkschaften und Universitäten. Allein die Zahl der Benutzer macht aus den digitalen Datennetzen ein neue Teilöffentlichkeit. Wenn ein Zentrum/Peripherie Schema im Bereich Kommunikation überhaupt aussagekräftig ist, könnte man die Netze als periphere Teilöffentlichkeit bezeichnen, die nichtsdestotrotz auch Kontake zur "inneren Peripherie" der Institutionen, Lobbyisten und Universitäten hat.[1] Idealerweise könnte diese Peripherie dazu beitragen, daß durch vernetzte Kommunikationsformen, "alle relevanten Fragen, Themen und Beiträge zur Sprache kommen und auf der Grundlage der bestmöglichen Informationen und Gründe in Diskursen und Verhandlungen verarbeitet werden."[2]
Die Potentiale der Datennetze werden oft in Kontrast zu den klassischen Medienstrukturen diskutiert. Dementsprechend müßten sie gegenüber Fernsehen und Radio entscheidene Vorteile bieten. Die heutige Situation läßt einen derartigen klaren Vergleich nicht zu. Obwohl sich die mediatisierte Öffentlichkeit in einer Dauerkrise befindet ist, scheint eine Alternative zum Fernsehen kaum denkbar zu sein. Solange Datennetze nicht zu einem Universalmedium geworden sind, welches die klassischen Medien Radio, TV und Zeitung integriert, ist davon auszugehen, daß Datennetze parallel zu Fernsehen, Radio und Publikationen erst einmal einfach ein zusätzlichen mediales Forum sind. Dieses Forum unterscheidet sich nicht nur durch seine hypertextuelle Struktur, sondern auch durch unterschiedliche Inhalte und bestimmten spezifische Benutzermilieus, von den herkömmlichen Medien.
In der gesellschaftlichen und politischen Anwendung sind Datennetze nicht nur als Korrektiv der bisherigen Verfaßtheit medial vermittelter Öffentlichkeit interessant. Die Auseinandersetzung um die Netze steht im engen Zusammenhang mit grundsätzlichen Reflektionen über Medien, Öffentlichkeit und Information. In einem für diesen Kontext zentralen Text zum Thema 'Gegenöffentlichkeit' kritisiert BüroBert den Informationsbegriff und das Öffentlichkeitsverständnis der bürgerlichen Medien.[3]
In den Bereichen Politik und Wirtschaft werden die Potentiale der Datennetze als plurifunktionale Träger von Inhalten eingesetzt. Sie werden als politische Ideologielieferanten instrumentalisiert, als Bedürfnisserzeuger kommerzialisiert und als vermeindlich interaktive Medien idealisiert. Da diese Interpretationen meist mit der gesellschaftlichen Realität wenig zu tun haben, sollte eine kritische Bewertung der Netze Ideologiekritik, Kommerzkritik, Medienkritik und die Beobachtung gesellschaftspolitischer Entwicklungen miteinander verbinden. Bezogen auf die konkrete Anwendung der Datennetze werden die Prozesse der 'Derealisierung' und 'Rerealisierung' interessant.[4] Sie bezeichnen einerseits die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, andererseits den Einbruch dieser in die Netzpraxis. Die materiellen und technischen Grundlage der Vernetzung haben ebenfalls konkrete Auswirkungen in der Praxis. Als Reaktion auf bestimmte mediale Strategien, ist es weiterhin möglich medienkritische Strategien und Interventionen zu diskutieren.
Negativ. Besonders auffällige negative Aspekte der Medien sind die folgenden:
(a) Manipulationseindrücke: Durch partei- und machtpolitische Einflußnahme wird die Selektion der Informationen und Themen kontrolliert. Die Vermachtung und Instrumentalisierung der Medien durch Parteien und Interessengruppen droht.[5]
(b) Veränderung. Eine irreführende Kontextualisierung, etwas durch die Wahl des Genres, oder durch die Konzeption der Sendung, verzerrt und verfremdet Äußerungen von Individuen
(c) Informationsdefizite. Die Qualität der Sendungen leidet unter kurzen Recherchezeiten, den wenigen Auslandskorrespondenten und unter fehlenden längere Diskussionen.
(d) Distanz und Abhängigkeit. Das 'reine' Handeln nach Informationen wird von Medien erst möglich gemacht. Dies wird auch kognitive Mobilisierung genannt. Problematisch ist, daß auf diese Weise der Bezug zur konkreten Erfahrungsumwelt aufgegeben wird.
(e) Ideologische Beeinflussung. Das ständige Wiederholen bestimmter beruflicher und ethnischer Stereotypen, die in bestimmten Situationen, mit bestimmter Handlungpraxis und mit bestimmten Problemlösestrategien präsentiert werden, bilden oft den einzigen Erfahrungsschatz, den ein Betrachter von bestimmten Staaten, Völkern, Kulturen und Personen hat. Dies gilt m.E. auch für die Beobachtung der eigenen Kultur.[6]
(f) Telekratie. Medienwirksamkeit wird zum Selektionskriterium für Politik und Politiker. Politiker werden zu artifiziellen Identitätsmixturen. Politik wird zum Spektakel.
(g) Inhaltliche Polarisierung. Die Medien zeigen das Böse und das Spektakel.[7] Das alltägliche Leben und vor allem Informationen, die das alltägliche Leben verändern und kritisch reflektieren, werden kaum beachtet. Informationen hinterlassen ein Passivitätsgefühl.
(h) Informationen werden nur noch als Öffentlichkeitsarbeit, 'corporate culture' mit dem Zweck der strategischen Beeinflussung der Massen produziert. Diese Entwicklung impliziert eine Demokratie der Institutionen und Kartelle.
Positiv. Es gibt positive Auswirkungen der Medien. (a) Mehr Toleranz durch Ironie und Selbstreflexivität. (b) Qualitativ hochwertige Berichte, Themenabende bei Arte etc. (c) Zehn Kanäle stellen noch eine Art begrenzten Bezugskanon für Kommunikation dar.
Strategien. Kritik an die Medien kann nicht nur durch hochwertige Sendungen geübt werden. (a) Situationistische Medienpraxis. Durch fiktive Veranstaltungen, inszenierte Ereignisse, durch Lügen und Gerüchte, wird die alltägliche Omnipräsenz und Fragwürdigkeit der medialen Wirklichkeitskonstruktion sichtbar. (b) Bewußte Öffentlichkeitsarbeit. Nur durch eine vorbereitete Benutzung von Medien wie TV, kann verhindert werden, daß die Sprecher instrumenalisiert werden. (c) BüroBert ersetzt die mediale Öffentlichkeit. Eine andere Dimension der Konfrontation und der direkten kommunikativen Form der Öffentlichkeit, entsteht durch das Erzeugen sozialer Situationen im Bereich Kunst und durch das Bereitstellen vor Räumen, Vorträgen und Publikationen.
Für Enzensberger war die Krise der Medien zu einem großen Teil der Effekt einer strukturellen Schwäche. Durch die Forderung nach Interaktion, nach dem Rückkanal und nach der Identität von Sender und Empfänger, sollte die zentralistische Medienproduktion grundlegend verändert werden. Aus der Medienkritik wird eine Gesellschaftkritik, wenn angenommen wird, daß diese neue Medienpraxis darüberhinaus auch einen politischen Lernprozess auslösen kann. Die Kritik von BüroBert am Informationsbegriff zielt in eine ähnliche Richtung. Der diskursive 'Gebrauchswert' von Nachrichten ist erst dann gegeben, wenn es durch die Informationen möglich wird, sich zu Ereignissen praktisch zu verhalten.[8] Diese inhaltlichen Dimensionen lassen sich jedoch nicht mit der Bereitstellung einer neuen medialen Struktur quasi automatisch realisieren. Vor einer allzu euphorischen Bewertung der Datennetze sei also gewarnt. Dennoch wird im folgenden Schema von Enzenberger die Nähe der alten Forderungen zu den neuen Technologien deutlich.
Mailboxen und Datennetze ermöglichen es, diese tendenziell emanzipatorischen Strukturen zumindest partiell zu aktualisieren. Newsgroups sind Zeitungen, die von Lesern für Leser gemacht werden. Die Empfänger von Informationen können problemlos zu Sendern werden. Kollektive Formen der Schreibens entstehen. Niemand kann daran gehindert werden seine Meinung zu sagen: "Wichtig: laßt die Betroffenen sprechen"[10] Durch die Datennetze entsteht Konfrontation und die Möglichkeit eines Austausches über Grenzen des "Soziotops" [11] hinaus. Weitere Vorteile: nichtkommerzielle Distribution, Destandardisierung, und ein heute/hier relativ geringer Anschaffungspreis für Computer und Modem. Innerhalb dieser neuen Strukturen kann schnell und persönlich reagiert werden und, es können, als erste Annäherung an eine 'Politische Gebrauchsöffentlichkeit', Aktivierungsinformationen verbreitet werden. Im Netz entsteht ein sozialer Raum, der, so virtuell er auch ist, durch seine potentielle denk- und handlungskoordinierende Funktion zur Kritik und Auseinandersetzung anregt.
"Ich denke, daß Öffentlichkeit nicht existiert, denn zur Öffentlichkeit gehören bewußte Individuen mit kritischer Einsicht, die fähig wären, die Herrschenden zu kritisieren, sie unter Kontrolle zu nehmen und wirklich Öffentlickeit herzustellen."[12] Der Begriff Gegenöffentlichkeit impliziert, daß die bürgerliche Öffentlichkeit überhaupt zerstört ist. Die außerparlamentarische Opposition in den siebziger Jahren bezeichnet sich als Gegenöffentlichkeit. Deren Intention war es, die bürgerliche Öffentlichkeit zu erneuern. Die Realisierung einer Pluralität von Teilöffentlichkeiten gilt als Effekt dieser Politik. BüroBert stellt fest, daß das heutige Ziel nicht mehr die Veränderung der bestehenden Öffentlichkeit ist, sondern die Produktion einer strukturell autonomen 'alternativen Öffentlichkeit'. Dabei geht es primär um Austausch, Diskussion und Praxis. "Es muß die Möglichkeit bestehen, daß ich meine Meinung ändere".[13] Programmatisch wird festgestellt, daß sich die Informationen nicht an Kunden/Konsumenten, sondern an User wenden. Gebrauchsöffentlichkeit definiert sich durch einen neuen Informationsbegriff: "Information muß sich in Handlung fortsetzen lassen."[14] Wenn überhaupt Kontakt zu bürgerliche Medien wie Radio und TV gesucht wird, dann mit dem klaren Ziel diese Medien für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. These ist, daß Öffentlichkeit gerade nicht durch Medien entsteht. Nur konkrete Situationen erzeugen Kontakte und Kontexte. Deshalb gehört es zum strategischen Repertoire eines derartigen Öffentlichkeitsverständnisses, daß, außerhalb von vermachteten Institutionen, Räume, Häuser und Lokale, aber auch Datennetze, Sender, Läden, Ausstellungsräume, Bibliotheken als soziale Orte und Organe der Informationsverbreitung genutzet werden. Diese Aktivitäten können so weit gehen, daß das "bestehende nicht reformistisch bekrittelt, sondern schlicht ERSETZT wird."[15] Probleme entstehen durch das Verhältnis zum 'Außen'. Strategien müssen entwickelt werden, um eigenständig, soziale, wirtschaftliche und wissenschaftskritische Fragen thematisieren zu können. Dies bedeutet zum Beispiel, daß die Wissensverbreitung nicht wie bislang den professionellen Multiplikatoren vorbehalten werden darf. Eine faire Diskussion der neuen Problemstellungen erfordert eine "Gegenexpertenöffentlichkeit".[16]
Effekte der Netze können mit Axel Diederich mit den Begriffen 'Derealisierung' und 'Rerealisierung' bezeichnet werden.[17]
(a) 'Derealisierung' bedeutet, daß Netze in ihrer Funktion als Ersatz für menschliche Kontakte auch problematische Dimensionen aufweisen. Netze ermöglichen Identitätstausch, Lüge und ungebremste Agressivität. Ein Orientierungsverlust entsteht oft dadurch, daß ein Text, oder eine Äußerung ohne Kontexte, wie zum Beispiel Biographie und Milieu des Schreibers, wahrgenommen wird. Dieses Fehlen von Bezügen kann beim Schreiber aber auch 'Darstellungszwang' erzeugen. Weiterhin wirken Netze als 'Fiktion', die den Bezug auf eine wirkliche Welt vergessen lassen. Allmachtsphantasien, bsp. 'Wargames', und Realitätsverlust drohen. Renato Lorenz beschreibt, daß es in Mailbox-Auseinandersetzungen oft stereotype Täter/Opfer Relationen gibt. [18] Oft ist ein Gefühl des Angegriffen-Seins festzustellen. Normale Kommunikationskonventionen werden ausser acht gelassen - es wird vergessen, daß auch schriftliche Kommunikation eine Person verletzen kann. [19]
(b) Auf der anderen Seite findet eine 'Rerealisierung' statt. (1) Diskursformen und Konventionen, die es 'draußen' bereits gibt, werden auch im Netz zum Exklusionskriterium. Die Brettstruktur der Newgroups erzeugt themenbezogene Teilöffentlichkeiten. Die Eingrenzung der Themen selber, wird selten Anlaß zur Diskussion. Standardisierte Aufteilungen werden reproduziert [20] (2) Rerealisierung findet als Bindung an Telekommunikationskonzerne statt. Die großen Kommunikationsanbieter ermöglichen zwar einen Internetzugang an, Ziel ist es jedoch, durch Serviceleistungen die Nutzer an die eigenen Strukturen zu binden. Durch diese Entwicklung entstehen Teilöffentlichkeiten als 'corporate spheres'. Dieser Teil der Datennetze wird zur Informationsautobahn und zur globalen Ausgabe der gelben Seiten. (3) Systemisch geschlossene, autonome, autopoietische Filternetze haben sich bereits im Falle der Nachrichtenagentur Reuters manifestiert. Dieses Netz konzentriert sich nur auf Informationen, die für die Wirtschaft relevant sind. Global werden hier wichtige Pressekonferenzen, Reden und andere Ereignisse in das Informationsnetze eingespeist und erscheinen in einem TV-Fenster inmitten von Börsenkursen. Sämtliche anderen Informationen bleiben ausgeblendet.
Die Netze sind somit ein Ort in dem gesellschaftlichen Konflikte ausgetragen werden. [21] Die neuen Freiräume sind als sozialer Ort mit bestimmten Probleme aber auch mit Chancen verbunden. Als Rerealisierung manifestieren sich in den Netzen jedoch auch die hegemonialen gesellschaftlichen und ökonomischen Machtstrukturen.
"In einer Welt, der die großen politischen Utopien ausgegangen sind, dient die technische Utopie den Ideologen des globalen Echtzeit-Markts als Surrogat."[22] Sämtliche Argumente, die für die 'Information Highway' von Seiten der Werbeindustrie und der Politik angeführt werden, sind fragwürdig. Die Werbeoberfläche der Compterindustrie verspricht Aktivität, stattdessen setzen die Produkte auf den passiven User der Bilder, Töne und Programme. Ein unrealistisches, globales Versöhnungszenario ist bereits Teil der Marketingstrategien. Das Bedürfniss nach einem Anschluß an dieses 'globale Dorf' wird künstlich produziert. Das Argument des multikulturelle Kontakts bleibt in einem WASP dominierten, explosiv wachsenden, aber eurozentristisch bleibenden "World White Web"[23] , reine Fassade. Zynisch wird darauf hingewiesen, daß der Computer ein emanzipatorisches Medium ist, daß soziale Drucksitutation entschärft und 'empowerment' garantiert. Tatsächlich werden durch die Netze diese Drucksituationen noch verschärft. Weite Teilbereiche der Netze werden im Zuge der Kommerzialisierung abgesperrt. Die Datennetze werden zur einer "site of repressive order and exessive consumption" und fördern nebenbei das Entstehen einer Informationselite.[24] Der Kapitalismus produziert also gleichzeitig die Probleme und profitiert von deren Lösungen. Auf eine analoge Art und Weise produziert der Bertelsmann Konzern zur Zeit einen gesellschaftlichen Werteverfall durch den Aufbau von Chat-Lines und Telefon-Sex-Agenturen, und löst den Orientierungverlust der Bürger durch das Sponsoring von universitären Bücherproduktionen zum Thema 'Tugend'.[25]
Die Politik verspricht, daß die Datenvernetzung positive Effekte auf die Arbeitsmarktsituation und auf das wirtschaftliches Wachstum haben wird. Auch Ökologie und Demokratie werden durch diese Technologie gefördert. In allen Bereichen werden jedoch gegenteilige Effekte auftreten.
(a) Die neuen Arbeitsplätze, die durch neue Dienstleistungen in einer Informationsgesellschaft entstehen, wiegen bei weitem nicht die Arbeitsplatzverluste auf, die durch globale Konkurrenz, Auslagerung von Produktion und durch die fortschreitende Rationalisierung und Automation, entstehen.
(b) Wirtschaft. Die Wirtschaft gerät unter Druck. Kaufkraftverluste entstehen durch die obengenannten Deregulierungsprozesse. Die unklare rechtliche Situation bezüglich Copyrightfragen, elektronischen Verträgen und die Unsicherheit bezüglich globaler Werbung und neuer Märkte führt zur Konzeptlosigkeit und Lähmung. Konkurrenzintensierung erzeugt Konzentration und bewirkt einen Umbau der Staaten in Infrastrukturunternehmer für multinationale Konzerne.
(c) Ökologie. Multimedia bedeutet vor allem erst einmal immer wieder neue Bildschirme, verschiedene Standards und zwingt die User zum Mitmachen jedes graduellen Innovationenschritts. Dadurch allein werden Resourcen verschwendet. Ein ökologischer Gewinn durch Telearbeit wird ebenfalls geringfügig ausfallen. Nicht jeder Arbeitsplatz kann in einen Telearbeitsplatz umgewandelt werden. Demgegenüber gibt es immer mehr Geschäftsreisende ohne Büro, die zumindest in den U.S.A., ständig mit dem Auto unterwegs sind. [26]
(d) Demokratie. Der Zugang zu Archiven, Vorlagen, gerichtlichen Unterlagen, wirtschaftlichen Zusammenhängen und wichtigen medizinischen Informationen ist nicht in dem Maße möglich geworden, wie dies in der politischen Theorie schon seit Jahren gefordert wird. Wäre dies der Fall, könnten die Netze einiges dazu beitragen, um den politischen Entscheidungsprozess transparenter zu machen. Selbst eine bessere Informiertheit ist jedoch sinnlos, wenn es keinerlei Gremien gibt, auf die Einfluss genommen werden kann. In der Politik sind nämlich auch keine neuen institutionelle Adressen geschafften worden. Es gibt zum Beispiel keine Ansätze, Legitimationsdefizite, zum Beispiel bezüglich der immer wichtigeren Rolle der Verwaltung, zu beseitigen. Elitäre Expertengremien erarbeiten ohne demokratische Kontrolle wichtige, langfristige Verträge mit der Industrie, sowie u.a. Richtlinien für Gentechnologie. Stattdessen überwiegen auch im Bereich 'Demokratie' die problematischen Aspekte der Netze: Datenschutz und der mangelnde Schutz der Privatsphäre. Das Compuserve Netz leitet zum Beispiel E-Mails aus Deutschland über einen zentralen Rechner in Ohio. Dort gibt es bislang keine Regelungen bezüglich Fernmeldegeheimnis und Nutzung von Kundendaten. [27] Das Mikrosoft-Programm 'Blackbird', welches in der Schulade von Bill Gates auf seine Anwendung wartet, sucht in den am Netz angeschlossenen privaten Computern nicht nur nach Raubkopien, sondern fandet in Textdatein nach Daten über Hobbies und anderen Interessen. [28] Durch neue Browser wie 'Java' könnten derartige autonome Programmanweisungen, getarnt als Musik- oder Spieldatei in den Computer eindringen. Derartige Entwicklungen werden dazu führen, daß der Begriff Interaktivität bald in einem ganz anderen Kontext benutzt werden wird. Er bezeichnet dann das enge Verhältnis zwischen Industrie und dem gläsernen Verbraucher.
Die Forderungen der radikal zivilgesellschaftlichen Pioniere in den globalen digitalen Datennetze werden offizielle Politik. Der Ministerpräsident Bayerns Edmund Stoiber fordert eine Vernetzung seines Bundeslandes. 'Bayern Online' soll den Netzzugang popularisieren und allgemein ermöglichen. Für diverse Förderungsprogramme sind Finanzmittel von 100 Millionen Mark vorgesehen. Geplant ist unter anderem Druck auf die Bundespost auszuüben, damit diese die örtlichen Telephongebühren veringert. Mit diesen politischen Planungsvorgaben wird deutlich was bereits seit einiger Zeit in der Luft liegt. Genuin linke, innovative Organisations- und Wirtschaftkonzepte, zu denen auch die Ideen zur Dezentralisierung, aber auch der direkten Demokratie zählen, werden zusehens zum Standardrepertoire eine progressiven, zukunftszugewandten Politik.
So beeindruckend diese Pläne erscheinen - sie ziehen keineswegs die Konsequenzen aus ihre vollmundigen Versprechungen. Europäische Politiker und Wirtschaftsunternehmen sind offentsichtlich davon überzeugt, daß sie aus der 'Revolution in den Kommunikationsmedien' ein Maximum an Gewinnen abschöpfen können. Dabei gehen sie keine Kompromisse ein. Weder in den Konzepten von Bayern On-Line [29] , dem Bangemann-Papier, noch in dem Bericht der Badenwürttenbergischen Enquête-Kommunission [30] kommen Forderungen nach kostenlosem Netzzugang für Vereine, Schulen und Universitäten vor, etwas was in Amerika längst selbstverständlich ist. [31] Dementsprechend hält sich auch die Förderung alternativer Anbieter in Grenzen. Kriterien für die Förderung sind Industrienähe, Nutzeffekte und Mehrfachnutzen. Bildungpolitik und Bürgernähe wird nicht einmal erwähnt. Die europäischen Anbieter setzen, im Gegensatz zur Situation in Amerika, auf multimediale konsumorientierte Großprojekte , wie Pilotprojekte z.B. das Schulprojekt 'Comenius' in Berlin zeigen.[32] Zynisch wird von der Jungen Union offen ausgesprochen, daß es in der Informationsgesellschaft eben Gewinner und Verlierer gäbe, da dies eine Art anthropologische Konstante sei.[33] Nicht nur CDU Politiker kritisieren, daß hier eine Chance vertan wird. Bildungsausgaben werden gestrichen, obwohl eigentlich jeder Schüler heutzutage mit einem Notebook ausgestattet sein müßte.[34] Durch diese Politik wird eine Aufteilung in eine Zweiklassengesellschaft nach amerikanischen Vorbild in Kauf genommen.
"In des lesbaren Gesellschaft gibt es kein verführerisches 'außen vor' mehr. Das andere, das nicht über klare Identitfikationspapiere verfügt, wird dazu gezwungen, sich zu integrieren, andernfalls wird es verbannt. Wer soziale Emanzipation oder Befreiung verweigert, kann nur mit militärischen oder kolonialistischen Mitteln in die posthistorischen Schranken verwiesen werden. Parlamentarische Demokratie und freie Marktwirtschaft sind nicht die Werte des Freien Westens, sondern Bedingungen, die jeder selbst realisieren muß, um nicht von der Neuen Weltordnung bedroht zu werden. Diese Werte bilden ein formales System, das, hinter den Kulissen, von einer politischen und wirtschaftlichen Elite regiert werden darf, vorausgesetzt, sie ignoriert nicht die eigenen nationalen Grenzen und die Spielregeln der Weltwirtschaft. (...) Letztlich bilden alle diese Befreiungsbewegungen eine Bedrohung für unsere Situation. Sowohl die Flüchtlinge, als auch die billigen Produkte sind eine Gefahr für Arbeit und Wohlstand des individuellen Bürgers. Das einzige politische Element, worauf das bürgerliche Bewußtsein noch angesprochen werden kann, ist von defensiver Art: Erhaltung von sozialer Sicherheit, Umwelt und multikultureller Gesellschaft. Jedes andere Aktionsthema hat einen unbeasichtigten, masochistischen Zug, der beim kalkulierenden Bürger nicht ankommt."[35]
Die euphorischen Zukunftspläne zeichnen sich durch ihre offene Inanspruchenahme völlig unrealistischer Szenarien aus. Utopiehybride werden aus den bekannten Zutaten bio-technokratischer Phantasien zusammengewürfelt. Gentechnologie wird in einem Atemzug mit Kommunikationsverbesserungen genannt. Mehr Freizeit wird durch Automatisierung entstehen, angenehme Arbeitplätze werden durch Heimarbeit ermöglicht. Ökologische Landwirtschaft wird mit satten wirtschaftlichen Wachstumsraten kombiniert. Diese Utopien gibt es seit Jahrhunderten. Es wird jedoch keine ideale Zukunft geben. Keine Erwähnung finden, in diesem Szenario zwischen Paradies, Morgentauplan und deutschem techologischem Führungsanspruch, die Nebeneffekte dieser Programme. Negiert werden die Asymetrien der globalen wirtschaftlichen Verflechtung und die zunehmende Arbeitslosigkeit durch Rationalisierung und Telearbeit. Nicht reflektiert werden gentechnische Risiken. In Kauf genommen wird das Entstehen von demokratisch nicht mehr legitimierbaren, elitären planwirtschaftlichen Entscheidungsbürokratien. Gewünscht wird eine Übernahme korporatistischer Strukturen der 'guten Kartelle' nach japanischen Vorbild.[36]
[1] Habermas, Jürgen. Faktizität und Geltung. Frankfurt am Main: Surkamp,1992. S. 430
[2] Habermas, Jürgen. Faktizität und Geltung. Frankfurt am Main: Surkamp,1992. S. 210
[3] BüroBert. Gegenöffentlichkeit. In: Copyshop. Berlin: ID-Archiv, 1993. S. 22-30
[4] Axel Diederich. Mail oder 'Progressive Communications'. In: Copyshop. Berlin: Edition ID-Archiv, 1993. S. 172-180
[5] Habermas, Jürgen. Faktizität und Geltung. Frankfurt am Main: Surkamp,1992. S. 455, 459
[6] Hall, Stuart. New Ethnicities. In: 'Race', culture and difference. London: Sage,1992. pp. 252
[7] Lovink, Geert, Schultz, Pit. Grundrisse einer Netzkritik. Siehe auch Fritz Pleitgen. Am Ende bleibt das Gefühl, wieder einmal reingelegt worden zu sein. Frankfurter Rundschau. Samstag, 4. November 1995.
[8] Hans Magnus Enzensberger. Baukasten zu einer
Theorie der Medien. In: Prokop (Hrg.), Bd.2, 1972, S. 432f.
[9] BüroBert 1993: 25
[10] BüroBert 1993: 24
[11] Negt/Kluge in BüroBert 1993: 23
[12] BüroBert 1993: 22
[13] BüroBert 1993: 22
[14] BüroBert 1993: 22
[15] BüroBert 1993: 23
[16] BüroBert 1993: 23
[17] Axel Diederich 1993: 173 In: Copyshop.
[18] Renate Lorenz 1993: 178 In: Copyshop.
[19] Becker, Jochen. No Bodies Touched. In: A.N.Y.P. Nr. 6 1994
[20] Axel Diederich 1993: 173 In: Copyshop.
[21] vgl. die Kritik an diesem Reduktionismus von Geert Lovink und Pit Schultz. Grundrisse einer Netzkritik. "Politische Ökonomie und Ideologiekritik reichen nicht mehr aus, wenn die Übersetzung in die soziale Praxis misslingt."
[22] Armand Mattelart. Alles durch Dampf und Elektrizität. In: Le mode diplomatique. 4. Novermber 1995.
[23] Lovink, Geert, Schultz, Pit. Grundrisse einer Netzkritik. 1995.
[24] Steven Kurtz: Vortrag auf der Interface in Hamburg.
[25] Projekt der Bertelsmann Wissenschaftsstiftung, weltweit in 11 Staaten in Zusammenarbeit mit dem Club of Rome, Titel 'Geistige Orientierung', zweite Veröffentlichung: Warnfried Dettling. Politik und Lebenswelt. Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft. Güterloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 1995.
[26] Ute Berhardt, Ingo Ruhmann. Mit den Konzepten von gestern in die Gesellschaft von morgen. In: Frankfurter Rundschau. Mittwock, 15. Novermber 1995.
[27] Ute Berhardt, Ingo Ruhmann. Mit den Konzepten von gestern in die Gesellschaft von morgen. In: Frankfurter Rundschau. Mittwock, 15. Novermber 1995.
[28] Michael Fläming. Internet - Werbeprofis wollen das 'globale Dorf' in einen Marktplatz verwandeln. In: Frankfurter Rundschau. Samstag, 14. Oktober 1995. S. 11.
[29] http://www.bayern.de
[30] Welf Schröter. Innovation mit innovativen Formen. In: Frankfurter Rundschau, Donnerstag, 26 Oktober 1995. S. 12.
[31] Größere 'Free-nets' haben allerdings auch in Amerika Finanzierungsprobleme. Als positives Beispiel in Europa ermuntert die Digitale Stadt Bolonga die Bewohner zur Zeit mit kostenlosem Internetzugang.
[32] Ute Berhardt, Ingo Ruhmann. Mit den Konzepten von gestern in die Gesellschaft von morgen. In: Frankfurter Rundschau. Mittwock, 15. Novermber 1995.
[33] Matthias Arning. Endlich richtig durchstarten - auf der Datenautobahn. In: Frankfurter Rundschau, Montag 30 Oktober 1995. S. 5.
[34] Klaus Haefner. Wo bleibt die Politik in der 'Informationsgesellschaft'? In: Frankfurter Rundschau, Freitag, 20 Oktober 1995. S. 20.
[35] Agentur Bilwet. Medienarchiv. Berlin: ID-Archiv, 1993: 32-33.
[36] Georg Blume. Die Zukunft beginnt hier und jetzt. In: Die Zeit. 27 Oktober 1995. S. 12.
1. Netze als Teilöffentlichkeit.
2. Medienkritik.
3. Medienutopien und Datennetze
Repressiver
MediengebrauchEmanzipatorischer Mediengebrauch
Zentral gesteuerte Programme
Dezentralisierte Programme
Ein Sender, viele Empfänger
Jeder Empfänger ein potentieller Sender
Immobilisierung isolierter Individuen
Mobilisierung der Massen
Passive Konsumentenhaltung
Interaktion der Teilnehmer feedback
Entpolitisierungsprozess
Politischer Lernprozess
Produktion durch Spezialisten
Kollektive Produktion
Kontrolle durch Eigentümer oder Bürokraten
Gesellschaftliche Kontrolle durch Selbstorganisation[9]
4. Gegenöffentlichkeit nach BüroBert
5. Effekte der Netzkommunikation: Derealisierung, Rerealisierung.
Werbung und Politik
6. Netze und Werbung
7. Netze und Politik
8. Politische Planungsziele
Ideologiekritik.
9. Das bürgerliche Bewußtsein
10. Utopiehybride
11. Literatur
Medienkritik und Gegenöffentlichkeit
1. Netze als Teilöffentlichkeit
2. Medienkritik
3. Medienutopien und Datennetze
4. Gegenöffentlichkeit nach BüroBert
5. Effekte der Netzkommunikation: Derealisierung, Rerealisierung
Werbung und Politik
6. Netze und Werbung
7. Netze und Politik
8. Politische Planungsziele
Ideologiekritik
9. Das bürgerliche Bewußtsein
10. Utopiehybride
11. Literaturliste