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09-07-96
Date: Mon, 4 Mar 1996 07:34:02 -0800
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Subject: Netzgesetz proposal
X-Uidl: 826068683.243
Sender: pit@duplox.wz-berlin.de
Netzgesetz. Vorschlag fur den Beginn einer Diskussion.
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Von Boris Grondahl.
Internal Draft v1.0
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Es gehort kein groBer Mut zu der Prophezeiung, daB in Deutschland eine
juristische Regulierung der elektronischen Kommunikation ansteht. Ob man
das begruBt oder nicht, der Dienstweg ist bereits eingeschlagen.
o Staatsanwaltschaften und spezielle Arbeitsgruppen der Polizei werden
gegen Mailboxen und Onlinedienste aktiv,
o der Bundestag hat eine Enquetekommission >>Multimedia<< eingerichtet,
o Fachkonferenzen der Exekutivorgane beginnen sich der Netzsicherheit
zuzuwenden.
Die Themengebiete, fur die allenthalben Regelungsbedarf angemeldet wird,
sind:
o Zensur/Presserecht
o Kryptographie/Schutz der Privatsphare
o Urheberrecht
Unterschiedliche, zT immanent widerspruchliche Interessen machen die Lage
nicht unbedingt ubersichtlicher. Der staatliche und zivile Wunsch nach
inhaltlicher Kontrolle elektronischer Kommunikation, wirtschaftliche
Interessen an ihrer Nutzung, Hoffnungen auf ein Goldenes Zeitalter der
Demokratie in ihrem Zeichen seien nur beispielhaft genannt.
Die deutsche Netzgemeinde hat sich diesen Themen bislang nicht
koordiniert gewidmet. Konkrete Zensurfalle (wie zuletzt die spektakulare
Streichung von 200 Newsgroups von den Compuserve-Servern oder die
Sperrung des Webcom-Servers, auf dem die revisionistische Zundel-Site
liegt, durch T-online) losen zwar hektische Diskussionen und Debatten
aus. Inhaltlich zeigen diese Debatten allerdings im wesentlichen, daB die
Unklarheit und Uneinigkeit unter aktiven Netzwerkern und sporadischen
Webklickern in der BRD kaum geringer ist als die der Gesetzgeber und der
Medien.
Das Projekt Netzgesetz mochte an diesem Punkt ansetzen. Es wendet sich an
alle Datenreisenden, die daran interessiert sind, das Internet als einen
Ort der freien Zwei-Wege-Kommunikation, zu dem moglichst viele Menschen
Zugang haben, zu erhalten. -- Es ist in dieser Hinsicht parteilich, ohne
daB Eintrittskarten ver- und ein Minimalkonsens vorgegeben werden. Die
von vorneherein gewunschte Offenheit unterscheidet Netzgesetz von
exklusiveren Zirkeln wie Nettime, ZK oder CCC, die tendenziell eher
Gleichgesinnte zusammenfuhren.
Keineswegs soll allerdings mit Netzgesetz versucht werden, die deutsche
Netzgemeinde als fiktive Einheit zu organisieren. Im Gegenteil kann sich
die Klarung unterschiedlicher Ansatze gerade auch als ein Ergebnis der
Diskussion erweisen. -- Genauso moglich sind unerwartete Gemeinsamkeiten.
Vor allem aber sollen die relativ disparaten Ansatze, die es in dieser
Richtung in Deutschland gibt, wenigstens voneinander erfahren.
Ebensowenig soll hinreichender Stallgeruch Aufnahmekriterium sein. Ein
newbie@aol.com hat in Netzgesetz ebenso Rederecht wie ein
Grundungsmitglied des CCC.
>>Netzgesetz<< ist ein Arbeitstitel. Er soll weder suggerieren, daB es
vornehmlich um den Entwurf eines >>besseren<< Internetgesetzes ginge --
auch wenn es einigen Teilnehmern in einem gewissen Stadium durchaus darum
gehen konnte. Noch soll er die Diskussion auf im engeren Sinne
juristische Fragen beschranken -- die Untersuchung der Politischen
Okonomie des Telekommunikationsmarktes, von Bestrebungen,
Netzwerkarchitekturen zu verandern, konnen ebenso Themen sein.
Netzgesetz soll zunachst die folgenden Elemente enthalten:
o Archiv: Alle bisher geltenden und angewandten Gesetze in Deutschland
und anderswo, Gesetzesentwurfe, einschlagige Gerichtsurteile,
wissenschaftliche Untersuchungen, Positionen einschlagiger Parteien,
Verbande und Individuen, interessante Artikel werden zuganglich gemacht.
Damit soll ein Boden in die Diskussion eingezogen werden und es allen
Interessierten ermoglicht werden, sich auf den aktuellen Stand zu
bringen. Das Archiv wird als WWW- und ftp-Site angelegt.
o Alarm: Eine Stelle fur Zensurfalle jeder GroBenordnung wird
eingerichtet, an die Zensurvorfalle berichtet werden konnen. Damit soll
vor allem die Vielfalt der MaBnahmen von Polizei und Staatsanwaltschaft,
aber auch von nichtstaatlichen Anstrengungen in Richtung Kontrolle des
Internet (etwa Scientology) dokumentiert werden. Alarmiert werden kann
uber die Netzgesetz-WWW-Site.
o Diskussion: Es wird ein Ort geschaffen, wo diese Fragen verhandelt
werden konnen, und zwar eine offene Mailingliste, die unmoderiert ist in
dem Sinne, daB jeder Teilnehmer posten kann, aber moderiert in dem Sinne,
daB Beitrage gezielt angeregt werden. Auch andere Formen wie Newsgroups,
Online-Live-Diskussionen, und IRL-Veranstaltungen konnen erwogen werden.
Wenn dieses Angebot von der Netzgemeinde angenommen wird, kann das
Projekt auch ausgebaut werden. Mogliche Schritte sind:
o Aktion: Auf Vorschlag konnen uber diese Medien auch Aktionen
organisiert werden, ahnlich Dave Winers >>24 hours of Democracy<<
(http://www.hotwired.com/staff/userland/24/), den Aktionen rund um die
Church of Scientology, oder der Blue-Ribbon-Kampagne der EFF.
Gegebenenfalls kann zu diesem Zweck eine geschlossene Mailingliste
eingerichtet werden.
o Praktischer Rat: Faqs fur Sysops, Tips zur kreativen Nutzung von
Gesetzeslucken.
o Internationale Vernetzung: Kontakt zu Organisationen im Ausland,
insbesondere innerhalb der EU, Koordinierung des gemeinsamen Vorgehens.
Konkrete Arbeitsschritte
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Dieses Konzept ist ein Angebot zur Mitarbeit.
Benotigt wird zunachst Connectivity und technische Unterstutzung. Ich
wurde gerne den ersten Schritt tun, wenn sich jemand (ja, art+com,
is.in-berlin, Ihr seid gemeint) bereitfindet, die Website und die
Mailingliste zu hosten.
Dieser erste Schritt bestunde im
o Verfassen einer Einladung zur Mailingliste,
o Erstellen eines Verteilers von Individuen, Newsgroups,
Onlinedienstforen, anderen Mailinglisten, die diese Einladung erhalten
sollen,
o Inhaltliche Betreuung der Mailingliste (Moderation im o.g. Sinne),
o Zusammenstellung eines Archiv-Grundstocks in HTML, Klarung evtl.
Copyright-Fragen, Betreuung und Aktualisierung des Archivs,
o Konzeption der Website.
Uber Kommentare zu diesem Vorschlag freut sich groendahl@eworld.com.
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