interfiction
Version
09-07-96
X-Sender: hameyer@hrz-serv7.hrz.uni-kassel.de
Date: Sun, 03 Mar 1996 23:22:40 +0100
To: hameyer
From: hameyer@hrz.uni-kassel.de (Herbert A Meyer)
Subject: glocalize your Scheiss
From: mfz@uropax.contrib.de (Museum fuer Zukunft)
Subject: glocalize your Scheiss
To: if@duplox.wz-berlin.de
Date: Tue, 30 Jan 1996 23:25:14 +0100 (MET)
Content-Length: 10319
Beitrag fuer Radio TM , Shedhalle Zuerich, 9/95
Nach wie vor sind Befuerworter wie Kritiker des >Internet< der Meinung: Das sagt zum Beispiel Armand Mattelart,
der in der monde diplomatique die kritisch
unter die Lupe nimmt: faehrt er fort. Dass er und fast alle anderen das so
sicher annehmen, konstituiert diese Stroeme natuerlich erst recht, aber das ist
ein alter Hut.
Trotzdem: der Beitrag Mattelarts war einer der ersten etwas erfreulicheren,
weil kritischeren Stellungnahmen. Die deutsche Ausgabe der monde diplomatique
erscheint in der TAZ, aber auch die TAZ entbloedet sich normalerweise nicht,
auf naivste Weise dieses Netz zu hypen. Neuerdings hypen die ja sogar den
militaerischen Einsatz in Ex-Jugoslawien, aber das nur nebenbei.
Die weltweite Vernetzung scheint kaum Kritiker zu finden. Dass dies unser neues
Megamedium wird, wird offensichtlich akzeptiert. Das Internet ist einer der
Gruende dafuer: Wo jeder ploetzlich alles machen koennen soll und darf. Diese
These trifft auf die ersten 20 Jahre des Internet bis zu einem bestimmten Mass
zu, nachdem dieses urspruenglich vom Militaer fuer die Zeit nach dem Atomschlag
entwickelte Netz den Universitaeten zur Verfuegung gestellt worden war und
neben den Lehrkraeften auch die Studierenden begannen, via Computer und Telefon
zu kommunizieren.
Mit der Einfuehrung des World Wide Web mit grafischer Oberflaeche, Fotos und
Videos und der Aussicht auf Breitbandvernetzung, die man bis jetzt nur mit
dicken Computern empfangen kann, wurde das Internet kommerziell interessant.
Zwar kann da nach wie vor jede/r seine Seiten zusammenbauen und auf>s Netz
geben, unter der Voraussetzung, dass sie oder er einen Computer hat und
entsprechend eingelernt wurde. Aber es wird damit tendentiell ein bisschen
weniger kommuniziert wie vorher, als nur Text zur Verfuegung stand, und dafuer
etwas mehr PRAESENTIERT.
Da setzt denn eine Art Wildweststimmung ein, eine Aufbruchseuphorie, und wenn
es was zu erobern gilt, muessen ein paar andere Dinge zurueckstehen. wird Alvin Toffler,
US-amerikanischer Futurologe, in der Frankfurter Allgemeinen angefuehrt. Go
west heisst heute go world wide. Und weltweit gehen mal wieder nur die
Industrienationen, allen voran die USA. Da aeussert sich Zbigniew Brzezinski,
frueher Direktor des Research Institute on Communist Affairs an der Columbia
University und danach Sicherheitsberater von Jimmy Carter: .
Um eine neue Phase der Internationalisierung zu charakterisieren, tauchte in
den achtziger Jahren ein Begriff auf: Globalisierung. Auch hier erkennen
Kritiker wie Mattelart an, Aber er meint auch, dass der Ausdruck die Komplexititaet der
neuen Weltordnung eher verbirgt als enthuellt. Da schliesst sich die Frage an
: Wem nuetzt das? Brzezinski hat eine Antwort:
Damit wird einmal mehr deutlich, wie wichtig Kommunikation, aber eben auch
KULTUR und ihre Erzeugnisse genommen werden, wenn es darum geht, die Welt zu
erobern. Brzezinski will dabei mit den Begriffen und den alten Begriff schon abgeschafft wissen.
Eroberungsstimmung auch bei den Internetfans meiner peer group bzw. der
Gesellschaftsgruppe, zu der ich mich zaehle. Auch hier will man daran gehen,
den Cyberspace zu , auch hier wird behauptet, dass es Imperialismus
gibt nicht gibt. Zweifel sind nicht angesagt. Wer auf der Suche nach der
radikalen Erfahrung ist, hat wie viele auch der kritischen Theoretiker der
Netze, so bspw. Marie-Louise und Arthur Kroker, Nietzsches in
den - ich zitiere -.
Mit seiner Professionalisierung habe sich Kommunikation als
betriebswirtschaftliches Modell in der ganzen Gesellschaft durchgesetzt und
werde mittlerweile vom Staat als schreibt Mattelart mit Blick auf die Werbung.
Eine - angenommene - Meinungsfreiheit der Buerger/innen hat seiner Meinung nach
Konkurrenz in Gestalt der Werbefreiheit bekommen, die uns als neues
Menschenrecht praesentiert wird. Jeder darf werben. Ein wenig verweist er auf eine Auseinandersetzung der Europaeischen Union mit den USA,
bei der sich letztere durchsetzten. Seitdem gelten fuer die Kommunikation die
Regeln des Freihandels. So interpretiert wird die Freiheit auf Handelsfreiheit
reduziert.
Die Hauptidee dessen, was mit der Globalisierung und inzwischen auch der
Vernetzung transportiert wird, lautet demnach,dass auf einem freien Markt
freier Wettbewerb herrschen muss zwischen Individuen, die die freie Wahl haben,
welche Produkte einer marktbeherrschenden Industrie sie dekodieren wollen. Ein
neoliberales Axiom: die theoretische Rehabilitierung des Empfaengers im
Kommunikationsprozess reduziert sich auf den Wettbeweb; wer dort unterliegt,
muss sich unterordnen.
Ich frage mich derzeit, was die ganzen Leute und auch mich dazu bringt, dieses
ueberdimensionierte Servicesystem, denn darum handelt es sich momentan, so
unhinterfragt zu bedienen, indem sie voller Freude ihre auf den
Seiten des World Wide Web zur Verfuegung stellen. Funktioniert dieses
Seitenbauen am Ende nicht wie Werbung - fuer sich, fuer andere, fuer die
neugegruendete kleine Firma... Ganz anders als die auf der Basis von Texten
aufgebaute Kommunikation im Internet, fuer die der Mythos des freien
Meinungsaustausches konstitutiv gewesen war. Dieser Mythos dient wiederum als
Werbung fuer>s Internet.
Ich kann jedenfalls in Berlin zu einer linken Druckerei gehen und bin in der
Diskussion nicht, wie erwartet, mit Fundamentalgegnern konfrontiert, sondern
einerseits mit aergerlichen Fragen und andererseits mit begeisterten
AnhaengerInnen des Mediums. Schliesslich koennen ja demnaechst Bilder direkt
aus Nicaragua an die Berliner Druckerei oder Infozeitung gesendet werden,
binnen Sekunden, Highquality.
Natuerlich sind das, wie auch alternative Infopools, die Moeglichkeiten eines
solchen Netzes! Je mehr davon, desto besser, weil unkontrollierbarer - dabei
sollte aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass der alternative Infoserver
immer noch am Rand des Informationsraumes steht, dessen Myhtos mit der
freiwilligen Informationsabgabe weiter ausgebaut wird. Mit derselben
Freiwilligkeit wird auch ein Infopool fuer diverse Staatsschuetzer und
Werbestrategen eingerichtet, deren technische Mittel durchaus ausreichen, die
vorhandene Datenmenge zumindest nach Schluesselwoertern zu durchsuchen. Und
(fast) jede Nachricht kann bis zu ihrem Ausgangspunkt zurueckverfolgt werden.
Was das neue Global-Lokal-Prinzip betrifft, hat die Druckerei hat jedenfalls
bis jetzt noch kein Bild aus Nicaragua gesehen. Die Worterfindung fuer das
Global-lokale Verhaeltniss kommt uebrigens aus der Industrie, diesmal aus dem
japanischen Management: GLOCALIZE. Denn auch die neue Unternehmensphilosophie
wie
derHoward Rheingold oder die Aktiven der Digitalen Stadt in Amsterdam und der
Internationalen Stadt in Berlin. Ihr Aktivismus besteht vor allem darin, Geld
zusammenzukriegen, um ihren Laden am Laufen zu halten. Natuerlich regen diese
digitalen Staedte 100 mal mehr zur Kommunikation an als all die Apple-Worlds
und Microsoftnetworks, in denen es auschliesslich um>s Konsumieren geht.
Gleichzeitig entstehen jedoch immer mehr konsumorientierte .
Oder man fuehrt - wie dies Regierungsfuturologe Toffler tut - das Klischee des
Hackers stolz als Beispiel fuer den US-amerikanischen Traum an:
Unter dem Titel diskutieren im Oktober <95 in Budapest AkteurInnen
der Digitalen Staedte, TheoretikerInnen und Fans die Moeglichkeiten und
Gefahren computernetzgestuetzter Kommunikation. Auch ich gehe zu solchen mehr
oder weniger regelmaessigen Treffen, weil ich der Meinung bin, dass man sich in
diesem Medium engagieren kann - aber nicht muss. Aber ich frage mich, ob nicht
genau diese Veranstaltungstitel, wie z.B. auch , usw. jetzt endlich abgeschafft werden koennen bzw. muessen, weil
damit auf der gleichen Schiene gefahren wird, wie dies Bill Gates und all die
anderen tun. Schliesslich handelt es sich nicht (nur) um globale Kommunikation,
sondern um globale OEkonomie. Und:
, um nochmal Mattelart zu bemuehen.
Vielleicht koennen sich ja die Theoretiker/innen der Netze mittlerweile von
Wirtschaftskritiker/innen abloesen lassen... und vom digitalen ,
der gegen die Pazifizierungsprogramme der jede Menge
Datanoise setzen moechte. Wenn das mal nicht ein Mythos ist - trotzdem
: Glocalize your Scheiss!
Florian Zeyfang