interfiction
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09-07-96
X-Sender: hameyer@hrz-serv7.hrz.uni-kassel.de
Date: Mon, 04 Mar 1996 10:26:27 +0100
To: if@duplox.wz-berlin.de
From: hameyer@hrz.uni-kassel.de (Herbert A Meyer)
Subject: Denn sie wissen, was wir tun
Denn sie wissen, was wir tun
Datenschutz: Eine Handvoll Firmen verwalten die wichtigsten
Informationen der Welt
Fast niemand kennt sie, aber sie kennt Millionen. Sie hat
mehr sensible Daten ueber viele Buerger als das Finanzamt.
Sie ist im Bilde ueber deren Lebensstil, ueber ihre
Lieblingsfarbe und manchmal auch ueber die Vorlieben beim
Sex. Sie weiss, wohin sie jedes Jahr in den Urlaub fliegen,
welches Auto sie fahren und wie hoch ihr Dispo ist bei der
Bank um die Ecke. Die Firma Electronic Data Systems
Corporation (EDS) aus Plano, Texas, ist besser informiert
als jede andere private Institution auf diesem Planeten.
Kein Staat der Welt hat so viele Informationen ueber seine
Buerger gespeichert. Und keine Rasterfahndung waere in der
Lage, ein derart genaues Persoenlichkeitsprofil zu
erstellen. Nicht der Staat pumpt sich zu einem
allwissenden, alles kontrollierenden Monster auf, wie
Orwell vermutet hat. Es sind eher ein paar private Firmen.
Das liegt daran, dass der Mensch die relevantesten
Datenspuren heutzutage weder bei der Steuerbehoerde noch
bei der Volkszaehlung hinterlaesst, sondern in den
Computern der Versandhaeuser und Fluggesellschaften, der
Banken, Versicherungen und Mietwagenfirmen. Viele dieser
Unternehmen lassen ihre Daten mittlerweile von sogenannten
Outsourcern verwalten. Das sind eigenstaendige Firmen, die
fuer den betreffenden Grosskunden Rechner installieren,
Programme eingeben und Informationen verwalten. Sie sorgen
fuer eine effektive und professionelle Gestaltung der EDV,
stellen meistens das Personal und sind ueber Standleitungen
mit einem eigenen Rechenzentrum verbunden.
Fuer die Unternehmen macht diese Praxis Sinn, weil
Outsourcer billiger arbeiten als jede betriebseigene EDV,
alle Dienstleistungen aus einer Hand kommen und die
noetigen Ausgaben langfristig planbar sind. Die Outsourcer
verdienen ihr Geld mit der Zentralisierung der
Datenverarbeitung, mit Einkaufsvorteilen durch
Grossabnahme, eigener Software und Netzdiensten und einer
extrem straffen inneren Organisation. Einen immer
groesseren Teil ihres Gewinns verdankt die Branche zudem
der Management-Beratung ihrer Kunden.
Eine der maechtigsten dieser Firmen ist EDS. Sie wurde 1962
von dem amerikanischen Milliardaer Ross Perot gegruendet
und 1984 an General Motors verkauft. Heute liest sich ihre
Kundenliste wie das Who's who des ganz grossen Geschaefts.
Apple gehoert dazu, American Express und Xerox, und wer
einen Opel kauft, teilt EDS ungewollt seine Lieblingsfarbe
und seinen Lebensstil mit. Genauere Daten werden dann beim
Bezahlen mit der American-Express-Karte nachgereicht.
Wer eine Flugreise bucht, landet im Rechner der EDS, weil
die Daten aus dem weltweiten Flugbuchungssystem Amadeus
dort verarbeitet werden. Auch die Deutsche Lufthansa hat
ihre gesamte EDV inklusive einer 25-Prozent-Beteiligung an
der dazugehoerigen Tochter Lufthansa Systems dem Datenmulti
uebertragen.
In Grossbritannien bearbeitet EDS bereits die komplette
Datenverarbeitung der Steuerbehoerde, sie verwaltet Daten
der staatlichen Gesundheitsfuersorge und ist Marktfuehrer
im Bereich Klinik-EDV und arbeitet sich immer mehr bei den
oeffentlichen Verwaltungen vor. In Suedaustralien hat EDS
sogar die komplette Datenverarbeitung der Regierung
einschliesslich 140 Unterorganisationen bis zum letzten
Buergermeister-PC uebernommen.
Bei der Breitbandverkabelung im Osten Deutschlands ist EDS
bereits dabei, in den USA beliefert sie 700 000 Hotelzimmer
ueber Satellit mit den Wunschprogrammen der Gaeste. Dieses
Know-how kommt wiederum Videotel zugute, an der EDS zu 25
Prozent beteiligt ist. Weitere Telekom-Projekte stehen auf
ihrem Wunschzettel.
Der unheimliche Datenmulti plant seine Aktivitaeten wie
einen militaerischen Feldzug: Zuerst werden moegliche
Kunden ausgespaeht und dann ein Mitarbeiter angesetzt, der
nichts anderes zu tun hat, als den kuenftigen Partner
weichzuklopfen - selbst wenn es mehrere Jahre dauert. Dabei
werden die angepeilten Unternehmen genau untersucht und die
Eigenschaften, Ziele und Ansichten der Fuehrungskraefte
ermittelt.
Weil der Markt derart lukrativ ist, tummeln sich darin noch
andere Firmen. Die IBM-Tochter ISSC betreut ein
vergleichbar grosses Marktsegment wie die Texaner. Auch die
Daimler-Benz-Tochter Debis erwirtschaftet einen aehnlichen
Umsatz, allerdings mit weniger prominenten Kunden. All
diesen Firmen ist gemeinsam, dass in ihnen ein gigantischer
Datendschungel wuchert, gegen den Datenschuetzer auf
verlorenem Posten stehen. Meistens gelingt es nicht einmal,
die Wege der Daten ueberhaupt nachzuvollziehen. Und falls
doch mal einer durchblickt, wird die heikle
Informationsverarbeitung einfach ins datenschutzfreie
Ausland verlagert. Technisch ist das jedenfalls kein
Problem.
Das funktioniert dann wie bei den drei Millionen BahnCard-
Besitzern in Deutschland: Ihre Daten werden in Nordhorn bei
der Citicorp Card Operations GmbH erfasst, die
digitalisierten Passbilder wandern zusammen mit dem
Antragsformular ueber eine Standleitung zum Rechenzentrum
der Citibank in den Vereinigten Staaten. Hier erstellen
Ingenieure, nach einer Bonitaetspruefung, die eigentliche
BahnCard und schicken sie weiter nach Arnheim in den
Niederlanden. Dort wird der Plastikausweis versandfertig in
die Post gegeben.
Kaum einer hat da noch den Ueberblick, kein uebergeordnetes
Organ die Kontrolle. Und niemand kann mit Gewissheit sagen,
welche Daten von wem wo gespeichert sind.
Scheinbar harmlose Datensammlungen koennen so zu neuen
Informationspaketen verdichtet werden. Die einzige
Sicherheit des Kunden ist die Beteuerung solcher Firmen wie
EDS, in Europa den dort gueltigen Datenschutz zu
respektieren.
In den USA dagegen ist EDS schon weiter: Da betreibt man
das Computersystem der Einwanderungsbehoerde, das
Grenzueberwachungsnetz, die automatische Fingerabdruck-
Identifizierung und alles, was fuer die Erstellung der
Green Card notwendig ist. Auch die Nationale
Luftfahrtbehoerde FAA, die Datenbank der
Militaerangehoerigen, ein paar Krankenkassen und etliche
Sozialprogramme verlassen sich auf EDS.
Mit der aus europaeischer Sicht erschreckenden Vernetzung
von Daten gelingt es beispielsweise, saeumige
Alimentenzahler oder Falschparker zur Kasse zu bitten.
Das hat bereits spuerbar die Zahlungsmoral der Amerikaner
erhoeht: Allein in einer Stadt wie Boston stiegen die
Einnahmen um 50 Millionen Dollar pro Jahr.
padeluun / Frank Rieger
aus: SPIEGEL special 3/96
[http://win.bda.de/bda/int/spon/schwerpunkt/schw01.html]
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