interfiction
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09-07-96
X-Sender: hermanns@hrz-serv7.hrz.uni-kassel.de (Unverified)
Date: Fri, 24 Nov 1995 19:08:03 +0100
To: if@duplox.wz-berlin.de
From: hermanns@hrz.uni-kassel.de (Uwe Hermanns)
Subject: Datennetze [Text]
Datennetze zwischen Medienkritik, Wirtschaft und Politik
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von Uwe Hermanns (hermanns@hrz.uni-kassel.de)
[http://www.uni-kassel.de/interfiction/texte/all.htm]
Inhalt
1. Netze als Teiloeffentlichkeit
2. Medienkritik
3. Medienutopien und Datennetze
4. Gegenoeffentlichkeit nach BueroBert
5. Netzkommunikation: Derealisierung, Rerealisierung
6. Netze und Werbung
7. Netze und Politik
8. Politische Planungsziele
9. Das buergerliche Bewusstsein
10. Utopiehybride
11. Literaturliste
1. Netze als Teiloeffentlichkeit
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Der internationale Mailbox Dachverband 'Association of
Progressive Communication' APC wird von Personen in 94
Staaten benutzt. Das ComLink Netz integriert mittlerweile
30.000 'User'. Die Internet Newsgroups koennen von 30
Millionen Personen benutzt werden. Angeschlossen an diese
Foren sind Nongovernmental Organisations wie Greenpeace,
aber auch Regierungen, Parteien, Gewerkschaften und
Universitaeten. Allein die Zahl der Benutzer macht aus den
digitalen Datennetzen ein neue Teiloeffentlichkeit. Wenn
ein Zentrum/Peripherie Schema im Bereich Kommunikation
ueberhaupt aussagekraeftig ist, koennte man die Netze als
periphere Teiloeffentlichkeit bezeichnen, die
nichtsdestotrotz auch Kontake zur "inneren Peripherie" der
Institutionen, Lobbyisten und Universitaeten hat.[1]
Idealerweise koennte diese Peripherie dazu beitragen, dass
durch vernetzte Kommunikationsformen, "alle relevanten
Fragen, Themen und Beitraege zur Sprache kommen und auf der
Grundlage der bestmoeglichen Informationen und Gruende in
Diskursen und Verhandlungen verarbeitet werden."[2]
Die Potentiale der Datennetze werden oft in Kontrast zu den
klassischen Medienstrukturen diskutiert. Dementsprechend
muessten sie gegenueber Fernsehen und Radio entscheidene
Vorteile bieten. Die heutige Situation laesst einen
derartigen klaren Vergleich nicht zu. Obwohl sich die
mediatisierte Oeffentlichkeit in einer Dauerkrise befindet
ist, scheint eine Alternative zum Fernsehen kaum denkbar zu
sein. Solange Datennetze nicht zu einem Universalmedium
geworden sind, welches die klassischen Medien Radio, TV und
Zeitung integriert, ist davon auszugehen, dass Datennetze
parallel zu Fernsehen, Radio und Publikationen erst einmal
einfach ein zusaetzlichen mediales Forum sind. Dieses Forum
unterscheidet sich nicht nur durch seine hypertextuelle
Struktur, sondern auch durch unterschiedliche Inhalte und
bestimmten spezifische Benutzermilieus, von den
herkoemmlichen Medien.
In der gesellschaftlichen und politischen Anwendung sind
Datennetze nicht nur als Korrektiv der bisherigen
Verfasstheit medial vermittelter Oeffentlichkeit
interessant. Die Auseinandersetzung um die Netze steht im
engen Zusammenhang mit grundsaetzlichen Reflektionen ueber
Medien, Oeffentlichkeit und Information. In einem fuer
diesen Kontext zentralen Text zum Thema
'Gegenoeffentlichkeit' kritisiert BueroBert den
Informationsbegriff und das Oeffentlichkeitsverstaendnis
der buergerlichen Medien.[3]
In den Bereichen Politik und Wirtschaft werden die
Potentiale der Datennetze als plurifunktionale Traeger von
Inhalten eingesetzt. Sie werden als politische
Ideologielieferanten instrumentalisiert, als
Beduerfnisserzeuger kommerzialisiert und als vermeindlich
interaktive Medien idealisiert. Da diese Interpretationen
meist mit der gesellschaftlichen Realitaet wenig zu tun
haben, sollte eine kritische Bewertung der Netze
Ideologiekritik, Kommerzkritik, Medienkritik und die
Beobachtung gesellschaftspolitischer Entwicklungen
miteinander verbinden. Bezogen auf die konkrete Anwendung
der Datennetze werden die Prozesse der 'Derealisierung' und
'Rerealisierung' interessant.[4] Sie bezeichnen einerseits
die Befreiung von gesellschaftlichen Zwaengen, andererseits
den Einbruch dieser in die Netzpraxis. Die materiellen und
technischen Grundlage der Vernetzung haben ebenfalls
konkrete Auswirkungen in der Praxis. Als Reaktion auf
bestimmte mediale Strategien, ist es weiterhin moeglich
medienkritische Strategien und Interventionen zu
diskutieren.
2. Medienkritik
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Negativ. Besonders auffaellige negative Aspekte der Medien
sind die folgenden:
(a) Manipulationseindruecke: Durch partei- und
machtpolitische Einflussnahme wird die Selektion der
Informationen und Themen kontrolliert. Die Vermachtung und
Instrumentalisierung der Medien durch Parteien und
Interessengruppen droht.[5]
(b) Veraenderung. Eine irrefuehrende Kontextualisierung,
etwas durch die Wahl des Genres, oder durch die Konzeption
der Sendung, verzerrt und verfremdet Aeusserungen von
Individuen
(c) Informationsdefizite. Die Qualitaet der Sendungen
leidet unter kurzen Recherchezeiten, den wenigen
Auslandskorrespondenten und unter fehlenden laengere
Diskussionen.
(d) Distanz und Abhaengigkeit. Das 'reine' Handeln nach
Informationen wird von Medien erst moeglich gemacht. Dies
wird auch kognitive Mobilisierung genannt. Problematisch
ist, dass auf diese Weise der Bezug zur konkreten
Erfahrungsumwelt aufgegeben wird.
(e) Ideologische Beeinflussung. Das staendige Wiederholen
bestimmter beruflicher und ethnischer Stereotypen, die in
bestimmten Situationen, mit bestimmter Handlungpraxis und
mit bestimmten Problemloesestrategien praesentiert werden,
bilden oft den einzigen Erfahrungsschatz, den ein
Betrachter von bestimmten Staaten, Voelkern, Kulturen und
Personen hat. Dies gilt m.E. auch fuer die Beobachtung der
eigenen Kultur.[6]
(f) Telekratie. Medienwirksamkeit wird zum
Selektionskriterium fuer Politik und Politiker. Politiker
werden zu artifiziellen Identitaetsmixturen. Politik wird
zum Spektakel.
(g) Inhaltliche Polarisierung. Die Medien zeigen das Boese
und das Spektakel.[7] Das alltaegliche Leben und vor allem
Informationen, die das alltaegliche Leben veraendern und
kritisch reflektieren, werden kaum beachtet. Informationen
hinterlassen ein Passivitaetsgefuehl.
(h) Informationen werden nur noch als
Oeffentlichkeitsarbeit, 'corporate culture' mit dem Zweck
der strategischen Beeinflussung der Massen produziert.
Diese Entwicklung impliziert eine Demokratie der
Institutionen und Kartelle.
Positiv. Es gibt positive Auswirkungen der Medien. (a) Mehr
Toleranz durch Ironie und Selbstreflexivitaet. (b)
Qualitativ hochwertige Berichte, Themenabende bei Arte etc.
(c) Zehn Kanaele stellen noch eine Art begrenzten
Bezugskanon fuer Kommunikation dar.
Strategien. Kritik an die Medien kann nicht nur durch
hochwertige Sendungen geuebt werden. (a) Situationistische
Medienpraxis. Durch fiktive Veranstaltungen, inszenierte
Ereignisse, durch Luegen und Geruechte, wird die
alltaegliche Omnipraesenz und Fragwuerdigkeit der medialen
Wirklichkeitskonstruktion sichtbar. (b) Bewusste
Oeffentlichkeitsarbeit. Nur durch eine vorbereitete
Benutzung von Medien wie TV, kann verhindert werden, dass
die Sprecher instrumenalisiert werden. (c) BueroBert
ersetzt die mediale Oeffentlichkeit. Eine andere Dimension
der Konfrontation und der direkten kommunikativen Form der
Oeffentlichkeit, entsteht durch das Erzeugen sozialer
Situationen im Bereich Kunst und durch das Bereitstellen
vor Raeumen, Vortraegen und Publikationen.
3. Medienutopien und Datennetze
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Fuer Enzensberger war die Krise der Medien zu einem grossen
Teil der Effekt einer strukturellen Schwaeche. Durch die
Forderung nach Interaktion, nach dem Rueckkanal und nach
der Identitaet von Sender und Empfaenger, sollte die
zentralistische Medienproduktion grundlegend veraendert
werden. Aus der Medienkritik wird eine Gesellschaftkritik,
wenn angenommen wird, dass diese neue Medienpraxis
darueberhinaus auch einen politischen Lernprozess ausloesen
kann. Die Kritik von BueroBert am Informationsbegriff zielt
in eine aehnliche Richtung. Der diskursive 'Gebrauchswert'
von Nachrichten ist erst dann gegeben, wenn es durch die
Informationen moeglich wird, sich zu Ereignissen praktisch
zu verhalten.[8] Diese inhaltlichen Dimensionen lassen sich
jedoch nicht mit der Bereitstellung einer neuen medialen
Struktur quasi automatisch realisieren. Vor einer allzu
euphorischen Bewertung der Datennetze sei also gewarnt.
Dennoch wird im folgenden Schema von Enzenberger die Naehe
der alten Forderungen zu den neuen Technologien deutlich.
Repressiver Emanzipatorischer
Mediengebrauch Mediengebrauch
--------------------- -------------------------
Zentral gesteuerte Dezentralisierte
Programme Programme
Ein Sender, viele Jeder Empfaenger ein
Empfaenger potentieller Sender
Immobilisierung isolierter Mobilisierung der Massen
Individuen
Passive Konsumentenhaltung Interaktion der
Teilnehmer feedback
Entpolitisierungsprozess Politischer Lernprozess
Produktion durch Kollektive Produktion
Spezialisten
Kontrolle durch Eigentuemer Gesellschaftliche
oder Buerokraten Kontrolle durch
Selbstorganisation[9]
Mailboxen und Datennetze ermoeglichen es, diese tendenziell
emanzipatorischen Strukturen zumindest partiell zu
aktualisieren. Newsgroups sind Zeitungen, die von Lesern
fuer Leser gemacht werden. Die Empfaenger von Informationen
koennen problemlos zu Sendern werden. Kollektive Formen der
Schreibens entstehen. Niemand kann daran gehindert werden
seine Meinung zu sagen: "Wichtig: lasst die Betroffenen
sprechen"[10] Durch die Datennetze entsteht Konfrontation
und die Moeglichkeit eines Austausches ueber Grenzen des
"Soziotops" [11] hinaus. Weitere Vorteile:
nichtkommerzielle Distribution, Destandardisierung, und ein
heute/hier relativ geringer Anschaffungspreis fuer Computer
und Modem. Innerhalb dieser neuen Strukturen kann schnell
und persoenlich reagiert werden und, es koennen, als erste
Annaeherung an eine 'Politische Gebrauchsoeffentlichkeit',
Aktivierungsinformationen verbreitet werden. Im Netz
entsteht ein sozialer Raum, der, so virtuell er auch ist,
durch seine potentielle denk- und handlungskoordinierende
Funktion zur Kritik und Auseinandersetzung anregt.
4. Gegenoeffentlichkeit nach BueroBert
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"Ich denke, dass Oeffentlichkeit nicht existiert, denn zur
Oeffentlichkeit gehoeren bewusste Individuen mit kritischer
Einsicht, die faehig waeren, die Herrschenden zu
kritisieren, sie unter Kontrolle zu nehmen und wirklich
Oeffentlickeit herzustellen."[12] Der Begriff
Gegenoeffentlichkeit impliziert, dass die buergerliche
Oeffentlichkeit ueberhaupt zerstoert ist. Die
ausserparlamentarische Opposition in den siebziger Jahren
bezeichnet sich als Gegenoeffentlichkeit. Deren Intention
war es, die buergerliche Oeffentlichkeit zu erneuern. Die
Realisierung einer Pluralitaet von Teiloeffentlichkeiten
gilt als Effekt dieser Politik. BueroBert stellt fest, dass
das heutige Ziel nicht mehr die Veraenderung der
bestehenden Oeffentlichkeit ist, sondern die Produktion
einer strukturell autonomen 'alternativen Oeffentlichkeit'.
Dabei geht es primaer um Austausch, Diskussion und Praxis.
"Es muss die Moeglichkeit bestehen, dass ich meine Meinung
aendere".[13] Programmatisch wird festgestellt, dass sich
die Informationen nicht an Kunden/Konsumenten, sondern an
User wenden. Gebrauchsoeffentlichkeit definiert sich durch
einen neuen Informationsbegriff: "Information muss sich in
Handlung fortsetzen lassen."[14] Wenn ueberhaupt Kontakt zu
buergerliche Medien wie Radio und TV gesucht wird, dann mit
dem klaren Ziel diese Medien fuer die eigenen Zwecke zu
instrumentalisieren. These ist, dass Oeffentlichkeit gerade
nicht durch Medien entsteht. Nur konkrete Situationen
erzeugen Kontakte und Kontexte. Deshalb gehoert es zum
strategischen Repertoire eines derartigen
Oeffentlichkeitsverstaendnisses, dass, ausserhalb von
vermachteten Institutionen, Raeume, Haeuser und Lokale,
aber auch Datennetze, Sender, Laeden, Ausstellungsraeume,
Bibliotheken als soziale Orte und Organe der
Informationsverbreitung genutzet werden. Diese Aktivitaeten
koennen so weit gehen, dass das "bestehende nicht
reformistisch bekrittelt, sondern schlicht ERSETZT
wird."[15] Probleme entstehen durch das Verhaeltnis zum
'Aussen'. Strategien muessen entwickelt werden, um
eigenstaendig, soziale, wirtschaftliche und
wissenschaftskritische Fragen thematisieren zu koennen.
Dies bedeutet zum Beispiel, dass die Wissensverbreitung
nicht wie bislang den professionellen Multiplikatoren
vorbehalten werden darf. Eine faire Diskussion der neuen
Problemstellungen erfordert eine
"Gegenexpertenoeffentlichkeit".[16]
5. Netzkommunikation: Derealisierung, Rerealisierung
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Effekte der Netze koennen mit Axel Diederich mit den
Begriffen 'Derealisierung' und 'Rerealisierung' bezeichnet
werden.[17]
(a) 'Derealisierung' bedeutet, dass Netze in ihrer Funktion
als Ersatz fuer menschliche Kontakte auch problematische
Dimensionen aufweisen. Netze ermoeglichen
Identitaetstausch, Luege und ungebremste Agressivitaet. Ein
Orientierungsverlust entsteht oft dadurch, dass ein Text,
oder eine Aeusserung ohne Kontexte, wie zum Beispiel
Biographie und Milieu des Schreibers, wahrgenommen wird.
Dieses Fehlen von Bezuegen kann beim Schreiber aber auch
'Darstellungszwang' erzeugen. Weiterhin wirken Netze als
'Fiktion', die den Bezug auf eine wirkliche Welt vergessen
lassen. Allmachtsphantasien, bsp. 'Wargames', und
Realitaetsverlust drohen. Renato Lorenz beschreibt, dass es
in Mailbox-Auseinandersetzungen oft stereotype Taeter/Opfer
Relationen gibt. [18] Oft ist ein Gefuehl des Angegriffen-
Seins festzustellen. Normale Kommunikationskonventionen
werden ausser acht gelassen - es wird vergessen, dass auch
schriftliche Kommunikation eine Person verletzen kann. [19]
(b) Auf der anderen Seite findet eine 'Rerealisierung'
statt. (1) Diskursformen und Konventionen, die es
'draussen' bereits gibt, werden auch im Netz zum
Exklusionskriterium. Die Brettstruktur der Newgroups
erzeugt themenbezogene Teiloeffentlichkeiten. Die
Eingrenzung der Themen selber, wird selten Anlass zur
Diskussion. Standardisierte Aufteilungen werden
reproduziert [20] (2) Rerealisierung findet als Bindung an
Telekommunikationskonzerne statt. Die grossen
Kommunikationsanbieter ermoeglichen zwar einen
Internetzugang an, Ziel ist es jedoch, durch
Serviceleistungen die Nutzer an die eigenen Strukturen zu
binden. Durch diese Entwicklung entstehen
Teiloeffentlichkeiten als 'corporate spheres'. Dieser Teil
der Datennetze wird zur Informationsautobahn und zur
globalen Ausgabe der gelben Seiten. (3) Systemisch
geschlossene, autonome, autopoietische Filternetze haben
sich bereits im Falle der Nachrichtenagentur Reuters
manifestiert. Dieses Netz konzentriert sich nur auf
Informationen, die fuer die Wirtschaft relevant sind.
Global werden hier wichtige Pressekonferenzen, Reden und
andere Ereignisse in das Informationsnetze eingespeist und
erscheinen in einem TV-Fenster inmitten von Boersenkursen.
Saemtliche anderen Informationen bleiben ausgeblendet.
Die Netze sind somit ein Ort in dem gesellschaftlichen
Konflikte ausgetragen werden. [21] Die neuen Freiraeume
sind als sozialer Ort mit bestimmten Probleme aber auch mit
Chancen verbunden. Als Rerealisierung manifestieren sich in
den Netzen jedoch auch die hegemonialen gesellschaftlichen
und oekonomischen Machtstrukturen.
6. Netze und Werbung
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"In einer Welt, der die grossen politischen Utopien
ausgegangen sind, dient die technische Utopie den Ideologen
des globalen Echtzeit-Markts als Surrogat."[22] Saemtliche
Argumente, die fuer die 'Information Highway' von Seiten
der Werbeindustrie und der Politik angefuehrt werden, sind
fragwuerdig. Die Werbeoberflaeche der Compterindustrie
verspricht Aktivitaet, stattdessen setzen die Produkte auf
den passiven User der Bilder, Toene und Programme. Ein
unrealistisches, globales Versoehnungszenario ist bereits
Teil der Marketingstrategien. Das Beduerfniss nach einem
Anschluss an dieses 'globale Dorf' wird kuenstlich
produziert. Das Argument des multikulturelle Kontakts
bleibt in einem WASP dominierten, explosiv wachsenden, aber
eurozentristisch bleibenden "World White Web"[23] , reine
Fassade. Zynisch wird darauf hingewiesen, dass der Computer
ein emanzipatorisches Medium ist, dass soziale
Drucksitutation entschaerft und 'empowerment' garantiert.
Tatsaechlich werden durch die Netze diese Drucksituationen
noch verschaerft. Weite Teilbereiche der Netze werden im
Zuge der Kommerzialisierung abgesperrt. Die Datennetze
werden zur einer "site of repressive order and exessive
consumption" und foerdern nebenbei das Entstehen einer
Informationselite.[24] Der Kapitalismus produziert also
gleichzeitig die Probleme und profitiert von deren
Loesungen. Auf eine analoge Art und Weise produziert der
Bertelsmann Konzern zur Zeit einen gesellschaftlichen
Werteverfall durch den Aufbau von Chat-Lines und Telefon-
Sex-Agenturen, und loest den Orientierungverlust der
Buerger durch das Sponsoring von universitaeren
Buecherproduktionen zum Thema 'Tugend'.[25]
7. Netze und Politik
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Die Politik verspricht, dass die Datenvernetzung positive
Effekte auf die Arbeitsmarktsituation und auf das
wirtschaftliches Wachstum haben wird. Auch Oekologie und
Demokratie werden durch diese Technologie gefoerdert. In
allen Bereichen werden jedoch gegenteilige Effekte
auftreten.
(a) Die neuen Arbeitsplaetze, die durch neue
Dienstleistungen in einer Informationsgesellschaft
entstehen, wiegen bei weitem nicht die Arbeitsplatzverluste
auf, die durch globale Konkurrenz, Auslagerung von
Produktion und durch die fortschreitende Rationalisierung
und Automation, entstehen.
(b) Wirtschaft. Die Wirtschaft geraet unter Druck.
Kaufkraftverluste entstehen durch die obengenannten
Deregulierungsprozesse. Die unklare rechtliche Situation
bezueglich Copyrightfragen, elektronischen Vertraegen und
die Unsicherheit bezueglich globaler Werbung und neuer
Maerkte fuehrt zur Konzeptlosigkeit und Laehmung.
Konkurrenzintensierung erzeugt Konzentration und bewirkt
einen Umbau der Staaten in Infrastrukturunternehmer fuer
multinationale Konzerne.
(c) Oekologie. Multimedia bedeutet vor allem erst einmal
immer wieder neue Bildschirme, verschiedene Standards und
zwingt die User zum Mitmachen jedes graduellen
Innovationenschritts. Dadurch allein werden Resourcen
verschwendet. Ein oekologischer Gewinn durch Telearbeit
wird ebenfalls geringfuegig ausfallen. Nicht jeder
Arbeitsplatz kann in einen Telearbeitsplatz umgewandelt
werden. Demgegenueber gibt es immer mehr Geschaeftsreisende
ohne Buero, die zumindest in den U.S.A., staendig mit dem
Auto unterwegs sind. [26]
(d) Demokratie. Der Zugang zu Archiven, Vorlagen,
gerichtlichen Unterlagen, wirtschaftlichen Zusammenhaengen
und wichtigen medizinischen Informationen ist nicht in dem
Masse moeglich geworden, wie dies in der politischen
Theorie schon seit Jahren gefordert wird. Waere dies der
Fall, koennten die Netze einiges dazu beitragen, um den
politischen Entscheidungsprozess transparenter zu machen.
Selbst eine bessere Informiertheit ist jedoch sinnlos, wenn
es keinerlei Gremien gibt, auf die Einfluss genommen werden
kann. In der Politik sind naemlich auch keine neuen
institutionelle Adressen geschafften worden. Es gibt zum
Beispiel keine Ansaetze, Legitimationsdefizite, zum
Beispiel bezueglich der immer wichtigeren Rolle der
Verwaltung, zu beseitigen. Elitaere Expertengremien
erarbeiten ohne demokratische Kontrolle wichtige,
langfristige Vertraege mit der Industrie, sowie u.a.
Richtlinien fuer Gentechnologie. Stattdessen ueberwiegen
auch im Bereich 'Demokratie' die problematischen Aspekte
der Netze: Datenschutz und der mangelnde Schutz der
Privatsphaere. Das Compuserve Netz leitet zum Beispiel E-
Mails aus Deutschland ueber einen zentralen Rechner in
Ohio. Dort gibt es bislang keine Regelungen bezueglich
Fernmeldegeheimnis und Nutzung von Kundendaten. [27] Das
Mikrosoft-Programm 'Blackbird', welches in der Schulade von
Bill Gates auf seine Anwendung wartet, sucht in den am Netz
angeschlossenen privaten Computern nicht nur nach
Raubkopien, sondern fandet in Textdatein nach Daten ueber
Hobbies und anderen Interessen. [28] Durch neue Browser wie
'Java' koennten derartige autonome Programmanweisungen,
getarnt als Musik- oder Spieldatei in den Computer
eindringen. Derartige Entwicklungen werden dazu fuehren,
dass der Begriff Interaktivitaet bald in einem ganz anderen
Kontext benutzt werden wird. Er bezeichnet dann das enge
Verhaeltnis zwischen Industrie und dem glaesernen
Verbraucher.
8. Politische Planungsziele
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Die Forderungen der radikal zivilgesellschaftlichen
Pioniere in den globalen digitalen Datennetze werden
offizielle Politik. Der Ministerpraesident Bayerns Edmund
Stoiber fordert eine Vernetzung seines Bundeslandes.
'Bayern Online' soll den Netzzugang popularisieren und
allgemein ermoeglichen. Fuer diverse Foerderungsprogramme
sind Finanzmittel von 100 Millionen Mark vorgesehen.
Geplant ist unter anderem Druck auf die Bundespost
auszuueben, damit diese die oertlichen Telephongebuehren
veringert. Mit diesen politischen Planungsvorgaben wird
deutlich was bereits seit einiger Zeit in der Luft liegt.
Genuin linke, innovative Organisations- und
Wirtschaftkonzepte, zu denen auch die Ideen zur
Dezentralisierung, aber auch der direkten Demokratie
zaehlen, werden zusehens zum Standardrepertoire eine
progressiven, zukunftszugewandten Politik.
So beeindruckend diese Plaene erscheinen - sie ziehen
keineswegs die Konsequenzen aus ihre vollmundigen
Versprechungen. Europaeische Politiker und
Wirtschaftsunternehmen sind offentsichtlich davon
ueberzeugt, dass sie aus der 'Revolution in den
Kommunikationsmedien' ein Maximum an Gewinnen abschoepfen
koennen. Dabei gehen sie keine Kompromisse ein. Weder in
den Konzepten von Bayern On-Line [29] , dem Bangemann-
Papier, noch in dem Bericht der Badenwuerttenbergischen
Enquête-Kommunission [30] kommen Forderungen nach
kostenlosem Netzzugang fuer Vereine, Schulen und
Universitaeten vor, etwas was in Amerika laengst
selbstverstaendlich ist. [31] Dementsprechend haelt sich
auch die Foerderung alternativer Anbieter in Grenzen.
Kriterien fuer die Foerderung sind Industrienaehe,
Nutzeffekte und Mehrfachnutzen. Bildungpolitik und
Buergernaehe wird nicht einmal erwaehnt. Die europaeischen
Anbieter setzen, im Gegensatz zur Situation in Amerika, auf
multimediale konsumorientierte Grossprojekte , wie
Pilotprojekte z.B. das Schulprojekt 'Comenius' in Berlin
zeigen.[32] Zynisch wird von der Jungen Union offen
ausgesprochen, dass es in der Informationsgesellschaft eben
Gewinner und Verlierer gaebe, da dies eine Art
anthropologische Konstante sei.[33] Nicht nur CDU Politiker
kritisieren, dass hier eine Chance vertan wird.
Bildungsausgaben werden gestrichen, obwohl eigentlich jeder
Schueler heutzutage mit einem Notebook ausgestattet sein
muesste.[34] Durch diese Politik wird eine Aufteilung in
eine Zweiklassengesellschaft nach amerikanischen Vorbild in
Kauf genommen.
9. Das buergerliche Bewusstsein
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"In des lesbaren Gesellschaft gibt es kein verfuehrerisches
'aussen vor' mehr. Das andere, das nicht ueber klare
Identitfikationspapiere verfuegt, wird dazu gezwungen, sich
zu integrieren, andernfalls wird es verbannt. Wer soziale
Emanzipation oder Befreiung verweigert, kann nur mit
militaerischen oder kolonialistischen Mitteln in die
posthistorischen Schranken verwiesen werden.
Parlamentarische Demokratie und freie Marktwirtschaft sind
nicht die Werte des Freien Westens, sondern Bedingungen,
die jeder selbst realisieren muss, um nicht von der Neuen
Weltordnung bedroht zu werden. Diese Werte bilden ein
formales System, das, hinter den Kulissen, von einer
politischen und wirtschaftlichen Elite regiert werden darf,
vorausgesetzt, sie ignoriert nicht die eigenen nationalen
Grenzen und die Spielregeln der Weltwirtschaft. (...)
Letztlich bilden alle diese Befreiungsbewegungen eine
Bedrohung fuer unsere Situation. Sowohl die Fluechtlinge,
als auch die billigen Produkte sind eine Gefahr fuer Arbeit
und Wohlstand des individuellen Buergers. Das einzige
politische Element, worauf das buergerliche Bewusstsein
noch angesprochen werden kann, ist von defensiver Art:
Erhaltung von sozialer Sicherheit, Umwelt und
multikultureller Gesellschaft. Jedes andere Aktionsthema
hat einen unbeasichtigten, masochistischen Zug, der beim
kalkulierenden Buerger nicht ankommt."[35]
10. Utopiehybride
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Die euphorischen Zukunftsplaene zeichnen sich durch ihre
offene Inanspruchenahme voellig unrealistischer Szenarien
aus. Utopiehybride werden aus den bekannten Zutaten bio-
technokratischer Phantasien zusammengewuerfelt.
Gentechnologie wird in einem Atemzug mit
Kommunikationsverbesserungen genannt. Mehr Freizeit wird
durch Automatisierung entstehen, angenehme Arbeitplaetze
werden durch Heimarbeit ermoeglicht. Oekologische
Landwirtschaft wird mit satten wirtschaftlichen
Wachstumsraten kombiniert. Diese Utopien gibt es seit
Jahrhunderten. Es wird jedoch keine ideale Zukunft geben.
Keine Erwaehnung finden, in diesem Szenario zwischen
Paradies, Morgentauplan und deutschem techologischem
Fuehrungsanspruch, die Nebeneffekte dieser Programme.
Negiert werden die Asymetrien der globalen wirtschaftlichen
Verflechtung und die zunehmende Arbeitslosigkeit durch
Rationalisierung und Telearbeit. Nicht reflektiert werden
gentechnische Risiken. In Kauf genommen wird das Entstehen
von demokratisch nicht mehr legitimierbaren, elitaeren
planwirtschaftlichen Entscheidungsbuerokratien. Gewuenscht
wird eine Uebernahme korporatistischer Strukturen der
'guten Kartelle' nach japanischen Vorbild.[36]
11. Literatur
[1] Habermas, Juergen. Faktizitaet und Geltung. Frankfurt
am Main: Surkamp,1992. S. 430
[2] Habermas, Juergen. Faktizitaet und Geltung. Frankfurt
am Main: Surkamp,1992. S. 210
[3] BueroBert. Gegenoeffentlichkeit. In: Copyshop. Berlin:
ID-Archiv, 1993. S. 22-30
[4] Axel Diederich. Mail oder 'Progressive Communications'.
In: Copyshop. Berlin: Edition ID-Archiv, 1993. S. 172-180
[5] Habermas, Juergen. Faktizitaet und Geltung. Frankfurt
am Main: Surkamp,1992. S. 455, 459
[6] Hall, Stuart. New Ethnicities. In: 'Race', culture and
difference. London: Sage,1992. pp. 252
[7] Lovink, Geert, Schultz, Pit. Grundrisse einer
Netzkritik. Siehe auch Fritz Pleitgen. Am Ende bleibt das
Gefuehl, wieder einmal reingelegt worden zu sein.
Frankfurter Rundschau. Samstag, 4. November 1995.
[8] Hans Magnus Enzensberger. Baukasten zu einer Theorie
der Medien. In: Prokop (Hrg.), Bd.2, 1972, S. 432f.
[9] BueroBert 1993: 25
[10] BueroBert 1993: 24
[11] Negt/Kluge in BueroBert 1993: 23
[12] BueroBert 1993: 22
[13] BueroBert 1993: 22
[14] BueroBert 1993: 22
[15] BueroBert 1993: 23
[16] BueroBert 1993: 23
[17] Axel Diederich 1993: 173 In: Copyshop.
[18] Renate Lorenz 1993: 178 In: Copyshop.
[19] Becker, Jochen. No Bodies Touched. In: A.N.Y.P. Nr. 6
1994
[20] Axel Diederich 1993: 173 In: Copyshop.
[21] vgl. die Kritik an diesem Reduktionismus von Geert
Lovink und Pit Schultz. Grundrisse einer Netzkritik.
"Politische Oekonomie und Ideologiekritik reichen nicht
mehr aus, wenn die Uebersetzung in die soziale Praxis
misslingt."
[22] Armand Mattelart. Alles durch Dampf und Elektrizitaet.
In: Le mode diplomatique. 4. Novermber 1995.
[23] Lovink, Geert, Schultz, Pit. Grundrisse einer
Netzkritik. 1995.
[24] Steven Kurtz: Vortrag auf der Interface in Hamburg.
[25] Projekt der Bertelsmann Wissenschaftsstiftung,
weltweit in 11 Staaten in Zusammenarbeit mit dem Club of
Rome, Titel 'Geistige Orientierung', zweite
Veroeffentlichung: Warnfried Dettling. Politik und
Lebenswelt. Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft.
Gueterloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 1995.
[26] Ute Berhardt, Ingo Ruhmann. Mit den Konzepten von
gestern in die Gesellschaft von morgen. In: Frankfurter
Rundschau. Mittwock, 15. November 1995.
[27] Ute Berhardt, Ingo Ruhmann. Mit den Konzepten von
gestern in die Gesellschaft von morgen. In: Frankfurter
Rundschau. Mittwock, 15. November 1995.
[28] Michael Flaeming. Internet - Werbeprofis wollen das
'globale Dorf' in einen Marktplatz verwandeln. In:
Frankfurter Rundschau. Samstag, 14. Oktober 1995. S. 11.
[29] http://www.bayern.de
[30] Welf Schroeter. Innovation mit innovativen Formen. In:
Frankfurter Rundschau, Donnerstag, 26 Oktober 1995. S. 12.
[31] Groessere 'Free-nets' haben allerdings auch in Amerika
Finanzierungsprobleme. Als positives Beispiel in Europa
ermuntert die Digitale Stadt Bolonga die Bewohner zur Zeit
mit kostenlosem Internetzugang.
[32] Ute Berhardt, Ingo Ruhmann. Mit den Konzepten von
gestern in die Gesellschaft von morgen. In: Frankfurter
Rundschau. Mittwock, 15. Novermber 1995.
[33] Matthias Arning. Endlich richtig durchstarten - auf
der Datenautobahn. In: Frankfurter Rundschau, Montag 30
Oktober 1995. S. 5.
[34] Klaus Haefner. Wo bleibt die Politik in der
'Informationsgesellschaft'? In: Frankfurter Rundschau,
Freitag, 20 Oktober 1995. S. 20.
[35] Agentur Bilwet. Medienarchiv. Berlin: ID-Archiv, 1993:
32-33.
[36] Georg Blume. Die Zukunft beginnt hier und jetzt. In:
Die Zeit. 27 Oktober 1995. S. 12.
version 24.11.95