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Konfigurationen. Zwischen
Kunst und Medien
Kassel 4. - 7. September 1997

Sigrid Schade (Bremen):
Die verdrängte Medialität der Moderne, Zur Kritik des Kunstdiskurses in den documenta-Konzeptionen I-X

Samstag, 6. September 1997 9.00 Uhr - Bali-Kinos, Kulturbahnhof

Abstract

In der Rede vom Verhältnis der Kunst zu den »neuen« Medien (meist wird die Fotografie dazugerechnet!) wird nach wie vor unterstellt, die traditionelle Kunst sei »medienlos«, manchmal wird wenigstens auf ihre »Materialität« reflektiert. Die (kunst-) historischen Voraussetzungen für die unproduktive Stagnation im Nachdenken über das Mediale der Kunst und der Medien und über das Künstlerische der Medien und der Kunst sollen hier thematisiert werden. Eine dieser Voraussetzungen ist, daß das Subjekt der Wahrnehmung als Entität gedacht wird, das historisch mit je verschiedenen medialen Eindrücken konfrontiert sei. KünstlerInnen, die schon lange im Feld neuer medialer Verfahren experimentieren, thematisieren Subjektivität als aus medial erzeugten Wahrnehmungsakten hervorgehende - und damit selbst als Effekt von medialen Strategien. Insofern sind die Kunstkritik, die Kunstvermittlung und die Kunstgeschichte nicht auf der Höhe dessen, was sie zu beschreiben versuchen. Anläßlich der documenta X, die solche Fragestellungen in ihr Konzept integriert hat und damit auf großen Widerstand der Kunstkritik gestoßen ist, soll ein Rückblick auf die Funktion der documenten I–IX als Knotenpunkte institutioneller Kunstdiskurse geworfen werden. In der Restaurierung der klassischen Vorstellungen von Kunst, Künstlerschaft und Kreativität in Deutschland nach 1945 stellt die documenta ein Feld zur Verfügung, in dem stellvertretend die Bedeutung des »Individuums« in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft thematisiert wird. Die ersten documenten belegen eine Rehabilitation der Moderne als »Verharmlosung«, bei der bestimmte riskante Quellen ausgeschlossen wurden, z.B. die Kunst psychisch Kranker etc. (Grasskamp). Weitere Ausschlüsse und Verdrängungen werden erkennbar: die produktiven Strategien von Surrealisten und Dadaisten werden weder erkannt noch zitiert: ihre frühen Reflexionen über Medialität und Wahrnehmung, die nicht zuletzt aus der Erfahrung des ersten Weltkriegs hervorgegangen waren, die Auseinandersetzung mit unterschiedlich konzipierten Kreativitätsmodellen etc. Selbst die Integration – nach dem Ende der Vorherrschaft abstrakter Kunst – von Fotografie, Installationen, Video-Produktionen usw. in späteren documenta Konzepte (z.B. 5 und 6) können als Versuche gelten, die neuen Medien in alte museale Strategien zu integrieren. (Video-»Skulptur«!) Die mit der d 6 eröffneten Fragen nach den Wechselwirkungen zwischen Kunst und Medien wurden in den darauffolgenden documenten 7–9 nicht weiterverfolgt – im Gegenteil, der Rückzug in die alten Kunstbastionen und -konzepte war Teil eines gesamtgesellschaftlichen Rollbacks.

Vortrag in deutscher Sprache
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