Wolfgang Ernst (Köln) / Stefan Heidenreich (Berlin):
Digitale Bildarchivierung: Der Wölfflin-Kalkül
Abstract
Die fünf kunstgeschichtlichen Grundbegriffe Wölfflins reagieren
auf die Explosion eines Bilddatensatzes, für den bislang allein der
Raum des Museums und die Ordnung von Inventar und Katalog Organisationsmodelle
bereitgestellt hatten (Ketelsen). Mit der Fotografie und der Diaprojektion
war der Kunstgeschichte plötzlich eine Menge von Bilder gegenwärtig,
die vorher aus der kühlen Ferne der Studierstube per Gedächtnis
adressiert und - dem Medium unangemessen - logozentristisch der Verschlagwortung
unterworfen wurden (Dilly). Es stellte sich die Anforderung, geschichtliche
Einheiten wie Leben, Werk und Datierung, über die das Fach Kunstgeschichte
Bildmengen in erster Linie geordnet hat, auf den neuen Datensatz zu übertragen.
Hierzu bedurfte es eines Verfahrens, Verwandtschaften im Bild wiedererkennbar
zu machen und historische Abläufe oder lokale Besonderheiten zu beschreiben.
Hier setzt Wölfflin den Begriff des Stils ein. Er soll dazu taugen,
auch die Datenbank der Reproduktionen unter den Bedingungen eines historisch
operierenden Fachs zu verarbeiten. Als Anwendung auf große digitalisierte
Bilddatenmengen gedacht, provoziert das Konzept die Frage, ob es durch
statistische Auswertung von Bildern nachvollziehbar ist. Ein Programm wird
versuchen, wenigstens einen der kunstgeschichtlichen Grundbegriffe in Algorithmen
zu gießen und auf eine Reihe von Bildern anzuwenden. Aus den Ergebnissen
lassen sich zwei ganz unterschiedliche Folgerungen ziehen: Entweder ist
das Wissen eines bestimmten Zweigs der Kunstgeschichte damit durch ein
Programm im Nachhinein bestätigt oder Wölfflins Kalkül ist
nur eine Teilmenge eines erweiterbaren Wissens über Bilder, das von
der Kunstgeschichte nach Erklärungen verlangt. Zugleich erinnert der
Wölfflin-Kalkül an die kulturwissenschaftliche Herausforderung,
das Gedächtnis der Bilder jenseits der Verschlagwortung zu denken.
Vortrag in deutscher Sprache
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