Peter Gendolla (Siegen):
Zählen und Erzählen. Über Literatur aus dem Rechner
Abstract
Die Differenz der sog. »zwei Kulturen« (Snow) beruht auf einem zentral entgegengesetzten Zeitkonzept: die (traditionellen) Naturwissenschaften suchen Zeit möglichst zu neutralisieren, haben (seit Newton) einen atemporalisierten Zeitbegriff entwickelt, Zeit auf das Zählen immer gleicher Abschnitte reduziert. Demgegenüber verstehen sich die (traditionellen) Geistes- u. Sozialwissenschaften geradezu als Interpreten von Veränderungen in der Zeit, beruhen auf einem temporalisierten Zeitbegriff, bauen ihre Theorien auf Erzählungen von Geschichten, aus denen Geschichte konstruiert wird. Diese differenten Konzepte der Wahrnehmung zeitlicher Prozesse sehen sie am deutlichsten in zwei Objekten ihres Interesses materialisiert: in der Maschine, die nur aufgrund eines festen Zeittaktes funktioniert - in der Literatur, die ein unerwartetes Ereignis, eine nicht kalkulierbare Zeit festzuhalten sucht, das Mißlingen des Zählens eben durch Erzählen vorstellt. Mit aktuellen Entwicklungen scheint sich die Differenz aufzulösen, zumindest zu verschieben. Etwa mit der Chaosforschung wird der Zeitbegriff der Naturwissenschaften temporalisiert, der Zufall, die radikal unkalkulierbare Zeit bekommt einen zentralen Stellenwert auch in den Modellen natürlicher Prozesse. Umgekehrt beginnen Rechnerprogramme wie CAP, POE oder DELPHI, wenn auch noch sehr marginal und dilettantisch, Literatur zu produzieren, eine eben nur zählende Maschine erzeugt Poesie. Dieses Verhältnis, seine Entwicklung und seine vorläufigen Auflösungen sollen an Beispielen skizziert werden.
Vortrag in deutscher Sprache
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