Einen facettenreichen Blick auf unterschiedliche Aspekte unserer Gegenwart, unserer Geschichte und auf technologische Entwicklungen, die unser gesellschaftliches Leben prägen, werfen die zahlreichen Beiträge des 12. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes. Die 23 Filme werden im Filmladen präsentiert, während über 100 Videos - in 19 Programmblöcken - im DOCK 4 zu sehen sind. Erwartet werden interessante Vorträge, zahlreiche Gäste und spannende Diskussionen mit Dokumentarfilmer/innen und Videomacher/innen.
Neben der traditionellen Schau von kritischen und engagierten Dokumentarfilmen und -videos zu aktuellen Themen - Asyl in Deutschland, Völkermord in Ruanda, Situation von ethnischen und sozialen Minderheiten sowie der deutschen Vergangenheitsbewältigung - richtet die Videosektion unter dem Titel interfiction ihr Hauptaugenmerk auf die Risiken, Chancen und Auswirkungen der "Neuen Kommunikationstechnologien", während die Auswahl des Filmprogramms durch zwei Schwerpunktthemen charakterisiert ist.
Unter dem Titel 100 Jahre Kino wird das Medium Film selbst zum Gegenstand der dokumentarischen Reflexion. So steht beispielsweise im Mittelpunkt des Films "Citizen Langlois", das Portrait des Gründers der ‘Cinématheque Francais’ Henri Langlois, der durch seine archivarische Arbeit die französische ‘Nouvelle Vague’ maßgeblich beeinflußt hat. Ebenfalls die (japanische) ‘Nouvelle Vague’ mitgeprägt hat der Filmkomponist Toru Takemitsu, der in dem Film "Music for the Movies" vorgestellt wird. Um die Arbeit so weltberühmter Kameraleute wie Carlo di Palma, Robby Müller, Haskell Wexler und Michael Ballhaus geht es in "Ich sehe was, was Du nicht siehst". Engagiert und humorvoll führt "REGINA BLUES - Der Kampf um ein Kino" Kinokultur vor Augen. Er erzählt anhand des Kieler Filmkunstkinos REGINA Filmgeschichte als Kinogeschichte und umgekehrt.
Der zweite Schwerpunkt widmet sich Leitbildern der Gegenkultur. Neben dem filmischen Porträt des Comic-Zeichners Robert Crumb, zeichnet der Schweizer Richard Dindo die letzten Lebenstage des Revolutionär Ernesto Che Guevara nach. Collagenhaft nähert sich der derzeit auf vielen Festivals gefeierte Film "Nico - Icon" der "Velvet Underground"- Sangerin Nico, die mit bürgerlichem Namen Christa Päffgen hieß und aus Köln stammte.
Traditioneller Bestandteil des Programms sind Personen- und Künstlerportraits. Eine Exzentrikerin, die geprägt ist von der Besessenheit, die Trennung von Leben und Arbeit aufzuheben, ist Niki de Saint Phalle. In seinem vor wenigen Wochen erst fertiggestellten Film "Wer ist das Monster - du oder ich" geht Peter Schamoni dem Leben und Werk der Künstlerin nach, die durch ihre Nana-Plastiken international bekannt wurde. Mit diesem Film wird das diesjährige "Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest" eröffnet werden.
Einen Mann mit ausgeprägtem Eigensinn war Fritz Levy. Als "Schandfleck von Jever" beschimpft, hinter Gitter gebracht und tätlich angegriffen, bezeichnete er sich selbst als Geheimtäter, Viehlosoph und Berufsverbrecher. In ihrem Film "Fritz lebt" hat Elbe Baur ihm ein filmisches Denkmal gesetzt.
Einer der großen zeitgenössischen Dokumentaristen - Chris Marker - ist mit zwei Arbeiten vertreten. In "Le Tombeau d’Alexandre / The Last Bolshevik" zeichnet er auf eindringliche Weise, Leben und Werk des russischen Regisseurs Alexander Medwedkin nach. Sein bereits zum Klassiker avancierter Film "Sans Soleil" wird in einer neuen Kopie zum Abschluß des Festes zu sehen sein.
Darüberhinaus ist jeweils ein Programm der Schauspielerin Hildegard Knef ("Für mich soll es rote Rosen regnen"), dem Videokünstler Bill Viola und dem Filmemacher und Beatlesfan Klaus Beyer gewidmet.
Einen Schwerpunkt des Videoprogramms bilden Arbeiten - zusammengefaßt zu Programmblöcken: (S)EXCHANGES, VIDEO-GESCHICHTEN und AVANTGARDEPOSITIONEN , die Dokumentation, Inszenierung und künstlerischer Bearbeitung auf virtuose Weise neu verbinden und somit neue Sichtweisen ermöglichen. Zum Abschluß der Videosektion belegt das Programm VIDEOS aus KASSEL , daß auch anspruchsvolles Video in Kassel produziert wird.
Erstmals thematisiert das Dokumentarfilm- & Videofest umfassend unter dem Titel interfiction die "Neuen Kommunikationstechnologien". Interfiction besteht aus fünf sich ergänzenden Veranstaltungen:
Das Eröffnungsprogramm der Videosektion präsentiert unterschiedliche Positionen und Zugänge zum Thema "PUBLIC ACCESS - Zugang zu den ‘Neuen Medien’". Am Donnerstag, dem 7.12. wird das Konzept von interfiction vorgestellt. Daran anschließend finden zwei Vorträge statt. Sabine Helmers von der Projektgruppe Kulturraum Internet spricht zum Thema "It's life, Jim, but not as we know it" - Von der Netzwelt zur Datenautobahn. Geert Lovinks Beitrag "Grundrisse einer Netzkritik" macht den Abgrund hinter den farbenprächtigen Oberflächen vom ‘World Wide Web’ sichtbar.
Im Zentrum von interfiction steht ein zweitägiges Seminar, das eine ausführliche und intensive Auseinandersetzung zu "Perspektiven und Mythen von Gegenöffentlickeit in Datennetzen" ermöglichen soll. Zum Abschluß spricht Kathy Rae Huffman über intime Beziehungen im Cyberspace und zeigt ausgewählte Arbeiten zum Thema.
Eigens für das Fest wird ein INTERNET-Café eingerichtet. Es stehen sechs Terminals zur Verfügung, an denen die Nutzer/innen die Möglichkeit haben, sich individuell mit dem Internet zu beschäftigen und eigene Erfahrungen zu sammeln. Dieses Angebot wird von Assistent/innen betreut, die eine Einweisung, entsprechende Hilfestellungen und Informationen zur Geschichte, Nutzung und Perspektiven des Internets geben können.
Ergänzt wird die Schau von Videos durch eine eigenständige Ausstellung von Medien- Installationen. Die Kasseler Künstlergruppe overall zeigt ihre neueste Installation "fononof", die HbK-Studentin Heidrun Gartenschläger stellt zusammen mit Ralf Peters ihre Videoinstallation "Engels Geduld" aus. Desweiteren präsentieren Merel Mirage mit "Steps of Tibet" und Henning Lohner mit "raw material - volume 1 to 11" ihre neuesten Arbeiten. Vernissage wird am 6.12. um 19.00 Uhr sein.
Ein Programmkatalog mit ausführlichen Besprechungen der Filme und Videos ist ab dem 1. Dezember im Filmladen und DOCK 4 erhältlich. Darüberhinaus sind aktuelle Informationen, Film- & Videobesprechungen etc. unter URL http://www.uni- kassel.de/interfiction/ abrufbar.
Dez.'95, Burkhard Hofmann & Gerhard Wissner (Filmladen Kassel)