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  Herbert A. Meyer

Roth, T., Meyer, H.A. & Lampe, K. (1990). Lexikalische Merkmale Lauten Denkens und Informationsstrukturierung in einer komplexen Problemsituation (Abschlußbericht zum DFG-Projekt Ro 751/1-2). Göttingen: Georg-August-Universität, Institut für Psychologie.

  • Einleitung und Fragestellung

    Die Fragestellungen des Projekts knüpfen an die Ergebnisse von Untersuchungen an, die Roth (1986) an Laut-Denken-Protokollen von Pbn vorgenommen hat, die sich mit "komplexen Problemen" (Dörner, Kreuzig, Reither & Stäudel, 1983; Dörner, 1989) auseinanderzusetzen hatten.

    Roth (1986) analysierte Laut-Denken-Protokolle von Bearbeitern der Probleme "Tailorshop" (Putz-Osterloh & Lüer, 1981) und "Dori" (Hesse, 1982) mit dem von Ertel (1972) entwickelten DOTA-Verfahren (DOTA = Dogmatismustextauswertung). Das DOTA-Verfahren ist ein lexikalisches Zählverfahren, mit dem über die Erfassung von Merkmalen des Formwortgebrauchs auf die Art der kognitiven Stukturierung geschlossen werden kann. Aus dem Verhältnis sog. A-Ausdrücke wie z.B. alle, immer, müssen zu den B-Ausdrücken wie z.B. einige, manchmal, können wird der DQ (= Dogmatismusquotient) berechnet, der nach Ertel (1981) das "Prägnanzniveau der kognitiven Tätigkeit" indiziert, das der Produktion der jeweils untersuchten Textmenge zugrundeliegt.

    Es zeigte sich im Rahmen dieser Untersuchungen, daß Pbn mit einem niedrigen DQ bei der Bearbeitung der computersimulierten Problemstellungen bessere Leistungen erzielten als Pbn, deren Verbalisationen einen vergleichsweise hohen DQ aufwiesen. Qualitative Analysen der Laut-Denken-Protokolle legten die Vermutung nahe, daß für das schlechtere Abschneiden von Pbn mit hohen DQ-Werten "Tendenzen zum voreiligen Schließen" verantwortlich sind. Diese Pbn suchen zu schnell und ungeduldig nach einer Lösung, wodurch es fast zwangsläufig zu Denkfehlern kommt. Sie konzentrieren sich auf wenige, vordergründige Problemaspekte, lassen andere, weniger offensichtliche Aspekte weitgehend außer acht. Da die Informationssuche und Problemanalyse zu früh abgebrochen wird, sind die Schlußfolgerungen über die Problemursachen und notwendigen Handlungsschritte häufig fehlerhaft. Die voreilige Festlegung auf eine Problemsicht kommt in einem häufigeren Gebrauch von A-Ausdrücken des DOTA-Lexikons wie z.B. zwangsläufig, sicher, müssen zum Ausdruck (vgl. auch Abs. 2.3).

    Neben dem DQ hat Roth (1986) eine Reihe weiterer sprachlicher Merkmale erfaßt, u.a. den Abstraktionsindex nach Günther und Groeben (1978), die Häufigkeit der Verwendung von Negationen, Konjunktiven, Adversativ- und Kausalpartikeln. Auch für einen Teil dieser zusätzlichen Indikatoren konnten Zusammenhänge mit dem Problemlöseerfolg nachgewiesen werden. So wurden u.a. Konjunktive und Negationen von Bearbeitern mit niedrigen Gütewerten wesentlich häufiger gebraucht.

    Problemlöser mit häufigem Konjunktivgebrauch neigen nach Roth (1987) zum "fiktionalen Denken". Sie schützen sich vor einer Invalidierung ihrer Hypothesen, indem sie die Auseinandersetzung mit der Problemsituation auf die Ebene des "Irrealen" und "Hypothetischen" verlagern. Sie entwickeln unter unkritischer Heranziehung ihres vermeintlichen Vorwissens über den Realitätsbereich eine Reihe expliziter Vorstellungen zu den Problemursachen, die jedoch in der Folge nicht handelnd umgesetzt und an den Bedingungen der Problemsituation überprüft werden.

    Auch der vermehrte Negationsgebrauch bei "schlechten" Problemlösern kann als Ausdruck einer Tendenz zur Vermeidung von Ambiguität interpretiert werden. Nach Dörner (1981; Dörner et al., 1983) reagieren "schlechte" Problemlöser auf den sich abzeichnenden Mißerfolg häufig nicht mit einer Korrektur ihrer Annahmen zu problemrelevanten Zusammenhängen, sondern im Gegenteil mit Tendenzen zur "Verschanzung" und "Verkapselung" ihrer Hypothesen. Informationen, die der eingenommenen Sichtweise widersprechen, werden ignoriert oder abgewehrt. Die Tendenz zur Abwehr inkonsistenter Information manifestiert sich nach Roth (1987) in einem Anstieg des Negationsgebrauchs, in Formulierungen wie "Das kann nicht sein", "Das ist nicht wichtig, "Es gibt keine andere Möglichkeit" usw..

    Im Rahmen dieses Projektes sollten Folgefragen beantwortet werden, die sich aus den Befunden und Interpretationen von Roth (1986) ergeben. Die Fragen lassen sich drei Bereichen zuordnen:

    1. In welchem Zusammenhang stehen die von Roth (1986) erfaßten lexikalischen Merkmale des Lauten Denkens mit dem Problemlöseverhalten, u.a. mit der Anzahl der gestellten Informationsfragen, der Anzahl und Variabilität von Systemeingriffen und behandelter Themen?

    2. In welchen strukturellen und/oder inhaltlichen Merkmalen unterscheiden sich die subjektiven "Bilder", die Pbn mit hohen DQ-Werten bzw. häufigem Konjunktiv- oder Negationsgebrauch von der Problemsituation konstruieren? Kovariieren die von Roth (1986) berücksichtigten lexikalischen Merkmale mit der Differenziertheit und dem Integrationsgrad der kognitiven Problemrepräsentation?

    3. Inwieweit lassen sich die lexikalischen Auffälligkeiten im Lauten Denken "schlechter" Problemlöser als Ausdruck von Individualkonstanten im Sinne von Handlungs- oder kognitiven Verarbeitungsstilen interpretieren?

    Zur Überprüfung von Hypothesen zu den genannten Fragekomplexen wurden zwei Untersuchungen durchgeführt. In der ersten Untersuchung wurde mit das von Dörner, Stäudel und Strohschneider (1986) entwickelte Entwicklungshilfeszenario "Moro" zur Bearbeitung vorgelegt. Neben den o.g. lexikalischen Merkmalen des Lauten Denkens wurden Daten zum Problemlöseverhalten und zu Merkmalen der kognitiven Problemrepräsentation erhoben. Vor der Problembearbeitung wurden eine Reihe von Persönlichkeitsfragebogen vorgelegt, mit denen Unterschiede im kognitiven Stil erfaßt werden sollten. Übergeordnetes Ziel der Untersuchung war die Prüfung unserer Hypothese, daß die lexikalischen Auffälligkeiten im Lauten Denken "schlechter" Problemlöser auf ein zentrales Merkmal der kognitiven Verarbeitung, eine zu geringe Komplexität bei der Problemanalyse, zurückgeführt werden können.

    Mit der zweiten Untersuchung sollte ein Beitrag zur Klärung der Frage geleistet werden, inwieweit in der Ausprägung der Sprachindikatoren zeitstabile bzw. situationsübergreifende Merkmale der kognitiven Verarbeitung zum Ausdruck kommen. Die von Roth (1985, 1987) vorgenommene Interpretation, nach der dem Zusammenhang zwischen Sprachindikatoren und Problemlöseleistung Variablen des kognitiven Stils zugrundeliegen, kann u.a. in Zweifel gezogen werden, weil das Laute Denken während der Problembearbeitung erhoben und ausgewertet wurde. Es ist daher ebenso denkbar, daß sich bestimmte situative Faktoren, wie z.B. die Bearbeitungsmotivation oder der subjektiv erlebte Problemlöseerfolg, auf das Sprachverhalten ausgewirkt haben und für die ermittelten Zusammenhänge mitverantwortlich sind. Um eine Beeinflussung des Sprachverhaltens durch diese situativen Faktoren zu vermeiden, wurden in der zweiten Untersuchung, die mit dem Problem "Textilfabrik" (Hasselmann & Strauß, 1988) durchgeführt wurde, die Sprachvariablen außerhalb der Problemlösesituation erhoben. Mit den Pbn wurde einige Tage vor der Problembearbeitung ein Interview geführt, das transkribiert und sprachstatistisch ausgewertet wurde.

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