Innerhalb der Massenmedien scheint die Auffassung zu herrschen,
daß ständig etwas Neues geboten werden muß, um damit
die vermeintliche Aufmerksamkeit der Rezipienten aufrechtzuerhalten.
Beispielhaft sei hier auf die schnellen Schnitte in den Videoclips
hingewiesen, die in Fernsehsendungen immer mehr angewandt werden.
Informationen werden in immer kleineren Dosierungen angeboten und es
kann vermutet werden, daß sie nicht mehr unbedingt nach ihrem
inneren Zusammenhang aufbereitet werden, sondern in der Weise,
daß sie auch kurzfristig noch genügend Aufmerksamkeit an
sich binden. Die menschlichen Informationsverarbeitungsvorgänge
könnten dementsprechend kurzatmig werden und die
regelmäßigen Nutzer bestimmter Massenmedien ihre
Fähigkeit verlieren, die Implikationen einer Information noch in
ihren Verästelungen zu verfolgen.
Die wissenschaftliche Bearbeitung dieser Fragestellung hat sich als
schwieriges Unterfangen herausgestellt. Letztlich geht es nicht nur um
die Frage: "Was machen die Medien mit dem Menschen?",
sondern darüberhinaus auch um die Frage: "Was macht der
Mensch mit den Medien" (vgl. Sturm, 1975). Zum Stand der Dinge in
der wissenschaftlichen Medien- und Rezeptionsforschung kann knapp
zusammenfassend festgestellt werden, daß ein Mangel an
konsistenten Aussagen über die offenbar äußerst
komplexen Funktions- und Wirkungszusammenhänge von Massenmedien
vorliegt. Es gibt eine Fülle von Untersuchungen über die
Relevanz einzelner Variablen, jedoch fehlen umfassende
Theoriekonzepte, die die vorliegenden Ansätze zu Reizvariablen,
Situationsvariablen und dispositionellen Variablen untereinander
verbinden.
Wenn Bill Gates aussagt, er interessiere sich nicht für die
herkömmlichen Medien, für ihn seien nur die interaktiven
Medien neu und spannend, dann ist dies als Hinweis darauf zu werten,
daß die Computerisierung der Alltagswelt auch die
Medienlandschaft beeinflussen wird (Gates, 1997). Interaktive Medien
oder Hypermedien, diese Begriffe werden wechselseitig verwendet,
stellen sich als elektronische Dokumente dar, und zwar als genau
diejenigen, die über sogenannte Hyperlinks verfügen. Diese
Hyperlinks verbinden elektronische Dokumente innerhalb
durchstrukturierter Hypermediasysteme (jede nur vorstellbare
Information kann repräsentiert werden, sobald sie digitalisiert
vorliegt). Dadurch werden definierte Stellen funktional verknüpft
und ein dialogischer Umgang mit den einzelnen Teilen der Basen
ermöglicht. Genau dieser Dialogbetrieb macht Hypermedien
interessant. Während es bei Multimedia ausschließlich um
die synchrone Kopplung von Schrift, Klang, Bild oder Bewegtbild geht,
geht es bei Hypermedien darüber hinaus um die synchrone
Vernetzung elektronischer Dokumente. Der dialogische Umgang mit
vernetzter Information ist neu und unterscheidet Hypermedien von allen
anderen Medien. Diese Möglichkeit gibt es bei den
herkömmlichen Medien nicht. Bücher, Zeitschriften,
Zeitungen, Fernsehen, Hörfunk und Filme, bieten den Stoff in
aller Regel diachron in Form von fixierten Sequenzen an. Genau diese
lineare Orientierung an der Zeitachse kann - muß aber nicht -
bei Hypermedien umgangen werden. Das heißt beispielsweise,
daß wir nicht mehr einschalten müssen, wenn ein Programm
kommt, sondern wir können uns ein Programm selber suchen. Mehr
noch - wir können sogar die Feinstruktur des gewählten
Programmes modifizieren. Diese Merkmale, die Suche nach gespeichertem
Stoff (Selektion) und der dynamische Umgang mit gespeichertem Stoff in
dialogischer Form (Kompilation) kennzeichnen Hypermedien.
Lokale Hypermediasysteme finden seit geraumer Zeit als Lehr-
/Lernmedien vor allem in der betrieblichen Fort- und Weiterbildung
Anwendung (zumeist mit CD-ROM als Massenspeicher). Populär wurden
Hypermediasysteme durch das auf dem weltweiten Rechnerverbund Internet
basierende offene Publikationssystem "World Wide Web" (WWW),
das vom europäischen Zentrum für Teilchenphysik (CERN) 1992
etabliert wurde. Ein organisiertes wissenschaftliches Interesse an dem
Thema interaktive Medien ist erst ab dem Jahr 1987 zu registrieren, da
der technische Stand der Informations- und Kommunikationstechnologien
erst zu diesem Zeitpunkt eine adäquate Umsetzung der bereits in
den 30er Jahren entwickelten Grundideen erlaubte (vgl. Kuhlen, 1990;
Meyer, in Druck). Eine systematische psychologische
Grundlagenforschung und die Entwicklung einer personen-bezogenen
Rezeptionsforschung steckt noch in den Kinderschuhen. Eine
diesbezügliche Bestandsaufnahme bietet der Sammelband von
McKnight, Dillon und Richardson (1993) und die aktuelle Arbeit von
Gerdes (1997). Insbesondere ist die in der Allgemeinen Psychologie
seit Jahrzehnten betriebene Aufmerksamkeitsforschung (Neumann &
Sanders, 1996) noch nicht mit der Rezeption von interaktiven
Medienangeboten in Zusammenhang gesehen worden. Hier gilt es,
originär medienpsychologische Theorieentwicklung zu betreiben und
nicht nur theoretische Bruchstücke aus der Allgemeinen
Psychologie zu importieren.
LiteraturGates, B. (1997). "Sie können auch abschalten".
Bill Gates im Spiegel-Gespräch, Der Spiegel, Heft 8/97 -
17.2.97, S. 94.
Gerdes, H. (1997). Lernen mit Hypertext. Lengerich: Pabst.
Kuhlen, R. (1991). Hypertext. Ein nicht lineares Medium
zwischen Buch und Wissensbank. Berlin: Springer.
McKnight, C., Dillon, A. & Richardson, J. (Ed.) (1993).
Hypertext. A psychological perspective. New York: Ellis
Horwood.
Meyer, H.A. (in Druck). Von Punkt zu Punkt. Skizzen zu einer
Theorie der interaktiven Medien. In W. Noeth & K. Wenz (Hrsg.).
Reden über Medien (Reihe Intervalle - Schriften des WZ II,
Band 2).
Neumann, O. (1992). Theorien der Aufmerksamkeit: von Metaphern zu
Mechanismen. Psychologische Rundschau, 43, 83-101.
Neumann, O. & Sanders, A.F. (Hrsg.) (1996). Aufmerksamkeit
(Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich C, Serie II, Band
2). Göttingen: Hogrefe.
Sturm, H. (1975). Die kurzzeitigen Angebotsmuster des Fernsehens.
Fernsehen und Bildung, Internationale Zeitschrift für
Medienpsychologie und Medienpraxis, 1, 39-50.
aus dem ZFF-Projektantrag